

Zwischenfall in Benderath | Retro Überblendung
16.1.23 | 18 Uhr
DDR 1956 – 98 Min. – Schwarzweiß – R: János Veiczi – B: Curt Corrinth, János Veiczi – K: Hans Hauptmann – D: Uwe-Jens Pape, Hartmut Reck, Gerhard Rachold, Benno Bentzin, Heinz Schröder, Renate Küster, Doris Abesser
Dass als Vorlage dieses Films ein Stück von 1929 dient („Trojaner“ von Curt Corrinth, der erst kurz zuvor in die DDR übergesiedelt war), könnte befürchten lassen, dass hier ein weiteres Mal einfach die Bonner mit der Weimarer Republik gleichgesetzt werden soll. Der Erstling des aus Ungarn stammenden Jànos Veiczi,
der später mit Filmen wie „For Eyes Only“ oder „Anflug Alpha 1“ die DDR und ihre „Organe“ feierte, kommt jedoch ganz ohne Schaum vor dem Mund aus. So zeichnet er mit der Geschichte eines jüdischen Gymnasiasten, der am Vorabend eines großen Schuljubiläums von einem Nazilehrer zum wiederholten Male antisemitisch beschimpft wird, woraufhin er den Unterricht verlässt und sich einige seiner Mitschüler mit ihm solidarisieren, ein für damalige DDR-Verhältnisse erstaunlich wirklichkeitsgetreues Bild der teils traurigen Verhältnisse in der jungen Bundesrepublik, insbesondere in einer Kleinstadt. Zu dieser realistischen Darstellung gehört, dass Protest und Widerstand Erfolg haben können und es – anders als sonst gern in der östlichen Propaganda behauptet wurde – keineswegs ausgemacht ist, dass der alte Ungeist einfach wieder triumphiert. Als Form seiner stets zu befürchtenden Rache wird am Ende des Films das eben verkündete Verbot der KPD bemüht.
Wie in anderen Fällen scheint allerdings auch bei „Zwischenfall in Benderath“ die Zeichnung des Westens selbst bei den Mitwirkenden wenig verfangen zu haben: Uwe-Jens Pape, Hartmut Reck und andere junge Darsteller verließen wenig später die DDR.
Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Retro Überblendung:
Im Westen: Arbeitslosigkeit, Drogensucht, alte und neue Nazis, Prostitution, perspektivlose Jugendliche, falscher Schein von Aufschwung und Wohlstand, dahinter krasse soziale Gegensätze und Elend.
Im Osten: Überwachung, Unterdrückung, fanatische Kommunisten, Verfall, bescheidene Lebensverhältnisse, allgegenwärtige Angst und ein finsteres System, aus dem man flüchten möchte.
Haben Ost und West während der deutschen Teilung diejeweils andere Seite am liebsten so in Film und Fernsehen gezeigt?
Die Retrospektive »Überblendung – Vergessene Bilder von Ost und West« möchte zur Beantwortung dieser Frage beitragen, indem sie viele Raritäten präsentiert. Darunter schwer zu beschaffende Fernsehproduktionen, die wohl zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder zu sehen sind wie die Filme »Aus dem Alltag in der DDR« und vier Folgen der Serie »Familie Bergmann«: Anfang der 70er Jahre sollten sie den Westdeutschen das Leben im ihnen fremdgewordenen Osten des Landes nahebringen.
Weitere Ausgrabungen sind der ZDF-Film »Das Haus« über ein Gebäude an der Berliner Mauer, die NDR-Produktion »Gerhard Langhammer und die Freiheit« über die Probleme eines Flüchtlings im Westen oder der DEFA-Streifen »Was wäre, wenn …?«: 1960 spielte er durch, was geschehen könnte, sollte ein DDR-Dorf plötzlich die Seite wechseln – mit »Die Dubrow-Krise« entstand 1968 ein ähnlicher Film im Westen.
Zu den Raritäten zählen auch »Mord im Märkischen Viertel« über einen Kriminalfall in West-Berlin und »Brandstellen«,
die DEFA-Adaption eines Romans von Franz Josef Degenhardt. Schon 1966 war mit »Irrlicht und Feuer« ein gesellschaftskritisches Buch eines westdeutschen Autors, hier Max von der Grün, für das DDR-Fernsehen adaptiert worden. Und auch die ARD hatte diesen Zweiteiler 1968 gesendet.
Auf einen selbstkritischen Blick auf die eigene Seite verzichteten auch viele Westfilme über den Osten nicht. Ob in »Postlagernd Turteltaube«, »Flucht nach Berlin« oder »Gedenktag« (über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953): Immer wieder lautete der Hauptvorwurf, die satten Westler interessiere der Osten nicht mehr.
Die Kritik, welche selbst diese Westfilme am Westen übten, verstärkte das Dilemma der Ostfilme: Eine differenzierte Darstellung der Zustände im Westen wie in »Zwischenfall in Benderath« war ohnehin eher die Ausnahme, oft wurde übertrieben und die Kritik an den Problemen entsprechend unscharf.
So wollte »Aktion J« nachweisen, dass Adenauers Kanzleramtsminister Hans Globke beim Holocaust eine gleich große Rolle gespielt hatte wie Adolf Eichmann. »Freispruch mangels Beweises«, die Verfilmung einer Münchner Affäre, wurde wenig später von der realen Entwicklung widerlegt. Gleiches war schon »Das verurteilte Dorf« widerfahren.
Da es unglaubwürdig gewesen wäre, verelendete Proletariermassen zu zeigen, widmeten sich die Ostfilme über den Westen gern den »besseren« Kreisen – und damit der Präsentation eines besonders schicken Ambientes und Lebensstils. Eine Produktion wie »Spielbankaffäre« wurde deshalb im Osten nur verstümmelt, in Schwarzweiß und im Bildformat 4:3 gezeigt. Und selbst ein Film, der von der Bundesrepublik so angewidert war wie »Der Hauptmann von Köln«, oder die Agentenserie »Das unsichtbare Visier« tappten in diese Falle.
Zu jeder der vierzig Produktionen gibt es eine fachkundige Einführung.