

Westler | Retro Überblendung
25.1.23 | 18 Uhr
BRD 1984/85 – 96 Min. – Farbe – R: Wieland Speck – B: Wieland Speck, Egbert Hörmann – K: Klemens Becker, Klaus Krieger, Ivan Kocman – M: Engelbert Rehm – D: Sigurd Rachman, Rainer Strecker, Andy Lucas, Frank Rediess, Andreas Bernhardt, Sasha Kogo, Hans Jürgen Punte
Das Bemerkenswerteste an diesem Film ist, dass es ihn überhaupt gibt. Drückte man sich doch seinerzeit im irgendwie „linken“, alternativen Milieu gern um klare Stellungnahmen zur DDR herum. Zu groß war die (von gewissen Kreisen auch stets geschürte) Angst, sich mit den „Kalten Kriegern“ gemein und der Todsünde des Antikommunismus schuldig zu machen.
Im Falle „Westler“ lautet des Rätsels Lösung: Der ganze Film ist autobiographisch inspiriert, sein Schöpfer Wieland Speck (der später als langjähriger Leiter des Berlinale-Panoramas größere Spuren hinterließ denn als Filmemacher) hatte einen Geliebten im Osten, der dringend in den Westen wollte, weil er keine Möglichkeit sah, sich im Osten zu entfalten. Durch das Filmprojekt sollte der Mann (als Hauptdarsteller) so bekannt und für die Machthaber so unmöglich werden, dass sie ihn aus der DDR hinauswarfen – was in den achtziger Jahren zum häufigen Verfahren mit prominenten „Störenfrieden“ geworden war. Doch dann wurde 1984 einer seiner Ausreiseanträge genehmigt.
Da inzwischen alles für den Dreh organisiert worden war, realisierte der 1951 geborene Speck den Film, der mit Unterstützung des ZDFs entstand, obwohl dessen eigentlicher Zweck sich also erledigt hatte. Dabei zielte der Titel „Westler“ womöglich auf den internationalen Markt, wo das angemessenere „Ostler“ – im Mittelpunkt steht das Leben und Schicksal eines jungen Mannes, den ein West-Berliner beim touristischen Besuch des anderen Teils der Stadt kennen und lieben lernt – weniger verständlich gewesen wäre.
Ungewöhnlich für einen Westfilm aus dieser Zeit ist der deutliche Hinweis auf fehlende Freiheit, beschränkte Entfaltungsmöglichkeiten, den Drang in den Westen. Die Darstellung des Ostens schwankt zwischen Exaktheit und bizarrer Übertreibung – beides exemplarisch bei den Szenen am Kontrollpunkt. Teils hat man sich damit beholfen, dass man heimlich (auf Super-8-Film) im Osten drehte. Bemerkenswert viele Requisiten konnten in den Westen gebracht werden, derweil die filmischen Mittel eher simpel blieben. Leider wird höchstens kurz angedeutet, wie der Ostler seiner Homosexualität wegen bedrängt wird, seine gesamte gesellschaftliche Stellung nur knapp skizziert („ich bin kein unbeschriebenes Blatt – Männergeschichten …“).
Auch manche Umstände des „Reiseverkehrs“ werden nicht genau dargestellt oder bleiben unklar. So dass der Westler als Reiseziel offenbar immer „Tourist“ angegeben haben muss, jedenfalls nicht seinen Liebsten, denn dessen Namen will er erst nach der peinlichen Untersuchung (nach der man ihn nichtsdestoweniger in den Osten ließ) preisgegeben haben. Auch dürfte es, bei 25 Mark Zwangsumtausch, ins Geld gegangen sein, jede Woche (nach eigener Aussage „ein- bis zweimal“) nach Ost-Berlin zu fahren. Und wäre dies überhaupt genehmigt worden? Oder nutzte der junge Mann einen westdeutschen Pass, der ihm den mühsamen Gang zur Passierscheinstelle ersparte? Details, die zeigen, wie schwierig eine derartige Ost-West-Beziehung war.
Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Retro Überblendung:
Im Westen: Arbeitslosigkeit, Drogensucht, alte und neue Nazis, Prostitution, perspektivlose Jugendliche, falscher Schein von Aufschwung und Wohlstand, dahinter krasse soziale Gegensätze und Elend.
Im Osten: Überwachung, Unterdrückung, fanatische Kommunisten, Verfall, bescheidene Lebensverhältnisse, allgegenwärtige Angst und ein finsteres System, aus dem man flüchten möchte.
Haben Ost und West während der deutschen Teilung diejeweils andere Seite am liebsten so in Film und Fernsehen gezeigt?
Die Retrospektive »Überblendung – Vergessene Bilder von Ost und West« möchte zur Beantwortung dieser Frage beitragen, indem sie viele Raritäten präsentiert. Darunter schwer zu beschaffende Fernsehproduktionen, die wohl zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder zu sehen sind wie die Filme »Aus dem Alltag in der DDR« und vier Folgen der Serie »Familie Bergmann«: Anfang der 70er Jahre sollten sie den Westdeutschen das Leben im ihnen fremdgewordenen Osten des Landes nahebringen.
Weitere Ausgrabungen sind der ZDF-Film »Das Haus« über ein Gebäude an der Berliner Mauer, die NDR-Produktion »Gerhard Langhammer und die Freiheit« über die Probleme eines Flüchtlings im Westen oder der DEFA-Streifen »Was wäre, wenn …?«: 1960 spielte er durch, was geschehen könnte, sollte ein DDR-Dorf plötzlich die Seite wechseln – mit »Die Dubrow-Krise« entstand 1968 ein ähnlicher Film im Westen.
Zu den Raritäten zählen auch »Mord im Märkischen Viertel« über einen Kriminalfall in West-Berlin und »Brandstellen«,
die DEFA-Adaption eines Romans von Franz Josef Degenhardt. Schon 1966 war mit »Irrlicht und Feuer« ein gesellschaftskritisches Buch eines westdeutschen Autors, hier Max von der Grün, für das DDR-Fernsehen adaptiert worden. Und auch die ARD hatte diesen Zweiteiler 1968 gesendet.
Auf einen selbstkritischen Blick auf die eigene Seite verzichteten auch viele Westfilme über den Osten nicht. Ob in »Postlagernd Turteltaube«, »Flucht nach Berlin« oder »Gedenktag« (über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953): Immer wieder lautete der Hauptvorwurf, die satten Westler interessiere der Osten nicht mehr.
Die Kritik, welche selbst diese Westfilme am Westen übten, verstärkte das Dilemma der Ostfilme: Eine differenzierte Darstellung der Zustände im Westen wie in »Zwischenfall in Benderath« war ohnehin eher die Ausnahme, oft wurde übertrieben und die Kritik an den Problemen entsprechend unscharf.
So wollte »Aktion J« nachweisen, dass Adenauers Kanzleramtsminister Hans Globke beim Holocaust eine gleich große Rolle gespielt hatte wie Adolf Eichmann. »Freispruch mangels Beweises«, die Verfilmung einer Münchner Affäre, wurde wenig später von der realen Entwicklung widerlegt. Gleiches war schon »Das verurteilte Dorf« widerfahren.
Da es unglaubwürdig gewesen wäre, verelendete Proletariermassen zu zeigen, widmeten sich die Ostfilme über den Westen gern den »besseren« Kreisen – und damit der Präsentation eines besonders schicken Ambientes und Lebensstils. Eine Produktion wie »Spielbankaffäre« wurde deshalb im Osten nur verstümmelt, in Schwarzweiß und im Bildformat 4:3 gezeigt. Und selbst ein Film, der von der Bundesrepublik so angewidert war wie »Der Hauptmann von Köln«, oder die Agentenserie »Das unsichtbare Visier« tappten in diese Falle.
Zu jeder der vierzig Produktionen gibt es eine fachkundige Einführung.