

Was wäre, wenn …? | Retro Überblendung
16.1.23 | 20:30 Uhr
DDR 1960 – 90 Min. – Schwarzweiß – R: Gerhard Klingenberg – B: Hedda Zinner, Gerhard Klingenberg – K: Erich Gusko – M: Peter Fischer – D: Willi Narloch, Gerd Ehlers, Heinz Frölich, Gertrud Bechmann, Hans Anselm Perten, Fritz Hofbauer
Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg war die Aufteilung des Großgrundbesitzes in der Sowjetischen Besatzungszone unter kleinen Bauern einer der großen Propagandaerfolge der Kommunisten gewesen, von dem manche noch jahrzehntelang schwärmten. Ökonomisch war die Aktion freilich von Anfang an unsinnig gewesen, und so musste in der inzwischen gegründeten DDR bald begonnen werden, die Landwirte zum Eintritt in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften zu bewegen – mit, da sich viele dagegen sträubten, zunehmend rabiaten Mitteln.
Vor diesem Hintergrund ist Hedda Zinners Stück „Was wäre, wenn …?“ zu betrachten, welches als Vorlage zu diesem gleichnamigen Film diente: In einem kleinen DDR-Dorf nahe der Westgrenze, in dem um die Kollektivierung der Landwirtschaft noch gerungen wird, macht das Gerücht die Runde, der Ort könnte in die Bundesrepublik wechseln. Keineswegs alle Dorfbewohner reagieren auf diese Aussicht mit Entsetzen …
Als Satire angelegt, kollidierte der DEFA-Film rasch mit der Humorlosigkeit und Ängstlichkeit des Machtapparats. Er wurde scharf kritisiert, zunächst zurückgehalten, verschwand dann rasch aus den Kinos und geriet entsprechend schnell in Vergessenheit. Der österreichische Regisseur und Co-Drehbuchautor Gerhard Klingenberg (Jahrgang 1929) kehrte nach dem Mauerbau in seine Heimat zurück.
Ende der sechziger Jahre entstand in der Bundesrepublik mit „Die Dubrow-Krise“ ein Fernsehfilm, der durchspielte, was passieren könnte, wenn sich ein DDR-Dorf plötzlich auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs befindet (siehe 29.1.).
Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Retro Überblendung:
Im Westen: Arbeitslosigkeit, Drogensucht, alte und neue Nazis, Prostitution, perspektivlose Jugendliche, falscher Schein von Aufschwung und Wohlstand, dahinter krasse soziale Gegensätze und Elend.
Im Osten: Überwachung, Unterdrückung, fanatische Kommunisten, Verfall, bescheidene Lebensverhältnisse, allgegenwärtige Angst und ein finsteres System, aus dem man flüchten möchte.
Haben Ost und West während der deutschen Teilung diejeweils andere Seite am liebsten so in Film und Fernsehen gezeigt?
Die Retrospektive »Überblendung – Vergessene Bilder von Ost und West« möchte zur Beantwortung dieser Frage beitragen, indem sie viele Raritäten präsentiert. Darunter schwer zu beschaffende Fernsehproduktionen, die wohl zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder zu sehen sind wie die Filme »Aus dem Alltag in der DDR« und vier Folgen der Serie »Familie Bergmann«: Anfang der 70er Jahre sollten sie den Westdeutschen das Leben im ihnen fremdgewordenen Osten des Landes nahebringen.
Weitere Ausgrabungen sind der ZDF-Film »Das Haus« über ein Gebäude an der Berliner Mauer, die NDR-Produktion »Gerhard Langhammer und die Freiheit« über die Probleme eines Flüchtlings im Westen oder der DEFA-Streifen »Was wäre, wenn …?«: 1960 spielte er durch, was geschehen könnte, sollte ein DDR-Dorf plötzlich die Seite wechseln – mit »Die Dubrow-Krise« entstand 1968 ein ähnlicher Film im Westen.
Zu den Raritäten zählen auch »Mord im Märkischen Viertel« über einen Kriminalfall in West-Berlin und »Brandstellen«,
die DEFA-Adaption eines Romans von Franz Josef Degenhardt. Schon 1966 war mit »Irrlicht und Feuer« ein gesellschaftskritisches Buch eines westdeutschen Autors, hier Max von der Grün, für das DDR-Fernsehen adaptiert worden. Und auch die ARD hatte diesen Zweiteiler 1968 gesendet.
Auf einen selbstkritischen Blick auf die eigene Seite verzichteten auch viele Westfilme über den Osten nicht. Ob in »Postlagernd Turteltaube«, »Flucht nach Berlin« oder »Gedenktag« (über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953): Immer wieder lautete der Hauptvorwurf, die satten Westler interessiere der Osten nicht mehr.
Die Kritik, welche selbst diese Westfilme am Westen übten, verstärkte das Dilemma der Ostfilme: Eine differenzierte Darstellung der Zustände im Westen wie in »Zwischenfall in Benderath« war ohnehin eher die Ausnahme, oft wurde übertrieben und die Kritik an den Problemen entsprechend unscharf.
So wollte »Aktion J« nachweisen, dass Adenauers Kanzleramtsminister Hans Globke beim Holocaust eine gleich große Rolle gespielt hatte wie Adolf Eichmann. »Freispruch mangels Beweises«, die Verfilmung einer Münchner Affäre, wurde wenig später von der realen Entwicklung widerlegt. Gleiches war schon »Das verurteilte Dorf« widerfahren.
Da es unglaubwürdig gewesen wäre, verelendete Proletariermassen zu zeigen, widmeten sich die Ostfilme über den Westen gern den »besseren« Kreisen – und damit der Präsentation eines besonders schicken Ambientes und Lebensstils. Eine Produktion wie »Spielbankaffäre« wurde deshalb im Osten nur verstümmelt, in Schwarzweiß und im Bildformat 4:3 gezeigt. Und selbst ein Film, der von der Bundesrepublik so angewidert war wie »Der Hauptmann von Köln«, oder die Agentenserie »Das unsichtbare Visier« tappten in diese Falle.
Zu jeder der vierzig Produktionen gibt es eine fachkundige Einführung.