

Schaut auf diese Stadt | Retro Überblendung
24.1.23 | 18 Uhr
DDR 1962 – 85 Min. – Schwarzweiß – R: Karl Gass – B: Karl Gass, Karl-Eduard von Schnitzler – M: Jean-Kurt Forest
Unmittelbar nach dem Mauerbau 1961 begann die DEFA, eine ganze Reihe auch abendfüllender Filme zu produzieren, die den Akt der Grenzschließung legitimieren sollten.
Das wohl bedeutendste Beispiel dafür im Bereich des Dokumentarfilms ist „Schaut auf diese Stadt“, dessen Titel einen berühmten Ausspruch des legendären SPD-Bürgermeisters (und Ex-Kommunisten) Ernst Reuter zitiert, den dieser während der sowjetischen Blockade der Berliner Westsektoren getätigt hatte.
Dabei ist „diese Stadt“ für den renommierten DEFA-Dokumentaristen Karl Gass und den schon damals berühmten (und für viele berüchtigten) Karl-Eduard von Schnitzler, der den Filmkommentar schrieb, vor allem West-Berlin. Dies entsprach dem unausgesprochenen Verzicht auf jene territorialen Ansprüche, welche die DDR bislang erhoben und den der Mauerbau auch bedeutet hatte.
Streng gemäß der SED-Geschichtsschreibung zeichnet der Film die Entwicklung vom harmonischen Miteinander der Anti-Hitler-Koalition über deren Bruch durch die westlichen Alliierten und den Ausbau ihrer Berliner Sektoren zur „Agentenzentrale“ und Bedrohung für den Weltfrieden nach. So heißt es denn auch im Vorspann: „Dieser Film ist entstanden aus Sorge um die Erhaltung des Friedens – gemäß dem historischen Auftrag der Deutschen Demokratischen Republik, dafür zu sorgen, daß niemals wieder von deutschem Boden ein Krieg ausgeht.“
Unbeantwortet bleibt wie üblich die Frage, weshalb Millionen den aufblühenden Sozialismus verließen, gar abgeworben werden konnten (und kaum einer von ihnen in den Osten zurückkehrte), obwohl doch im Westen angeblich nur Not, Elend, Ausbeutung und Faschismus auf sie warteten. Unbeantwortet bleibt, warum sehr viel weniger Menschen aus dem Westen in den Osten gingen. Unbeantwortet bleibt, wie eine Invasion der DDR vor allem von West-Berlin aus gestartet werden sollte und weshalb sie durch den Bau einer einfachen, damals kaum mannshohen Mauer mit etwas Stacheldraht verhindert werden konnte. Ganz zu schweigen davon, weshalb den „antifaschistischen Schutzwall“ weiterhin die meisten Westler in Richtung Osten, aber kaum mehr Ostler in Richtung Westen passieren durften.
Der Film endet mit dem Aufruf an die West-Berliner, sich der Besatzungsmächte zu entledigen und überhaupt die politischen Verhältnisse in ihrer Stadthälfte zu verändern. Welch grotesker Fehleinschätzung der Stimmung im anderen Teil der Stadt man damit aufsaß, zeigte neben anderem die Wahl zum Abgeordnetenhaus im Februar 1963: Die SPD, die sich in der frühen Nachkriegszeit an die Spitze des antikommunistischen Widerstands gestellt hatte, erhielt mit dem hier noch heftig als Kalten Krieger attackierten Regierenden Bürgermeister Willy Brandt 61,9 Prozent der Stimmen. Für die SED, die – anders als die Kommunisten im Bundesgebiet – auf Grund eines alliierten Kompromisses von 1946 auch in West-Berlin agieren und zu den Wahlen antreten konnte, votierten 1,3 Prozent.
Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Retro Überblendung:
Im Westen: Arbeitslosigkeit, Drogensucht, alte und neue Nazis, Prostitution, perspektivlose Jugendliche, falscher Schein von Aufschwung und Wohlstand, dahinter krasse soziale Gegensätze und Elend.
Im Osten: Überwachung, Unterdrückung, fanatische Kommunisten, Verfall, bescheidene Lebensverhältnisse, allgegenwärtige Angst und ein finsteres System, aus dem man flüchten möchte.
Haben Ost und West während der deutschen Teilung diejeweils andere Seite am liebsten so in Film und Fernsehen gezeigt?
Die Retrospektive »Überblendung – Vergessene Bilder von Ost und West« möchte zur Beantwortung dieser Frage beitragen, indem sie viele Raritäten präsentiert. Darunter schwer zu beschaffende Fernsehproduktionen, die wohl zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder zu sehen sind wie die Filme »Aus dem Alltag in der DDR« und vier Folgen der Serie »Familie Bergmann«: Anfang der 70er Jahre sollten sie den Westdeutschen das Leben im ihnen fremdgewordenen Osten des Landes nahebringen.
Weitere Ausgrabungen sind der ZDF-Film »Das Haus« über ein Gebäude an der Berliner Mauer, die NDR-Produktion »Gerhard Langhammer und die Freiheit« über die Probleme eines Flüchtlings im Westen oder der DEFA-Streifen »Was wäre, wenn …?«: 1960 spielte er durch, was geschehen könnte, sollte ein DDR-Dorf plötzlich die Seite wechseln – mit »Die Dubrow-Krise« entstand 1968 ein ähnlicher Film im Westen.
Zu den Raritäten zählen auch »Mord im Märkischen Viertel« über einen Kriminalfall in West-Berlin und »Brandstellen«,
die DEFA-Adaption eines Romans von Franz Josef Degenhardt. Schon 1966 war mit »Irrlicht und Feuer« ein gesellschaftskritisches Buch eines westdeutschen Autors, hier Max von der Grün, für das DDR-Fernsehen adaptiert worden. Und auch die ARD hatte diesen Zweiteiler 1968 gesendet.
Auf einen selbstkritischen Blick auf die eigene Seite verzichteten auch viele Westfilme über den Osten nicht. Ob in »Postlagernd Turteltaube«, »Flucht nach Berlin« oder »Gedenktag« (über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953): Immer wieder lautete der Hauptvorwurf, die satten Westler interessiere der Osten nicht mehr.
Die Kritik, welche selbst diese Westfilme am Westen übten, verstärkte das Dilemma der Ostfilme: Eine differenzierte Darstellung der Zustände im Westen wie in »Zwischenfall in Benderath« war ohnehin eher die Ausnahme, oft wurde übertrieben und die Kritik an den Problemen entsprechend unscharf.
So wollte »Aktion J« nachweisen, dass Adenauers Kanzleramtsminister Hans Globke beim Holocaust eine gleich große Rolle gespielt hatte wie Adolf Eichmann. »Freispruch mangels Beweises«, die Verfilmung einer Münchner Affäre, wurde wenig später von der realen Entwicklung widerlegt. Gleiches war schon »Das verurteilte Dorf« widerfahren.
Da es unglaubwürdig gewesen wäre, verelendete Proletariermassen zu zeigen, widmeten sich die Ostfilme über den Westen gern den »besseren« Kreisen – und damit der Präsentation eines besonders schicken Ambientes und Lebensstils. Eine Produktion wie »Spielbankaffäre« wurde deshalb im Osten nur verstümmelt, in Schwarzweiß und im Bildformat 4:3 gezeigt. Und selbst ein Film, der von der Bundesrepublik so angewidert war wie »Der Hauptmann von Köln«, oder die Agentenserie »Das unsichtbare Visier« tappten in diese Falle.
Zu jeder der vierzig Produktionen gibt es eine fachkundige Einführung.