

Postlagernd Turteltaube | Retro Überblendung
14.1.23 | 18:30 Uhr
BRD 1952 – 84 Min. – Schwarzweiß – R+B: Gerhard T. Buchholz – K: Peter Zeller – M: Hans-Martin Majewski – D: Barbara Rütting, Olga Limburg, Lu Säuberlich, Hermann Schomberg, Horst Niendorf, Ernst Stahl-Nachbauer
In den fünfziger und sechziger Jahren waren bei der DEFA die deutsche Teilung und die Verhältnisse auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs immer wieder ein Thema. Ganz anders in der westdeutschen Filmproduktion. Eine der wenigen Ausnahmen von dieser Regel zeigte zudem bereits, wie dort kaum ein Film zur deutschen Frage ohne selbstkritischen Blick auf die Verhältnisse im Westen auskam. So schildert „Postlagernd: Turteltaube“, der erklärtermaßen in einem fiktiven Land spielt, nur zu Beginn die Zustände in dessen von einer totalitären Ideologie beherrschten Hälfte: In weitgehend stummen, aus dem Off kommentierten Szenen wird gezeigt, wie eine junge Frau von „drüben“ ihren Bruder dazu bringt, zu überprüfen, ob seine Nachbarn weltanschaulich wirklich so gefestigt sind, wie er glaubt, oder ob sie nur aus Angst handeln. Das Ergebnis eines simplen Tests mit anonymen Briefen ist, dass alle fliehen. Auf der anderen Seite der Grenze werden die Flüchtlinge vor allem als lästig empfunden, dort hat man sich im Wohlstand eingerichtet (man muss bereits zur Entfettungskur) und die Landsleute und ihre Not weitgehend vergessen.
Sieben Jahre nach Kriegsende zeigte „Postlagernd: Turteltaube“, der später häufig als gegen die DDR hetzendes Produkt des Kalten Kriegs diffamiert wurde, in Wahrheit vor allem eine erschreckende Entfremdung zwischen Ost und West und ein Bild von den Verhältnissen im Westen (wo geflüchtete Professoren reihenweise zu Nachtwächtern degradiert werden), das der Osten nicht viel anders gezeichnet hätte.
Rund ein Jahrzehnte später widmete sich Gerhard T. Buchholz, der Regisseur und Drehbuchautor von „Postlagernd: Turteltaube“, mit „Durchbruch Lok 234“ ein weiteres Mal der deutschen Teilung (siehe 18.1.).
Ein Film aus dem Bundesarchiv-Filmarchiv.
Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Retro Überblendung:
Im Westen: Arbeitslosigkeit, Drogensucht, alte und neue Nazis, Prostitution, perspektivlose Jugendliche, falscher Schein von Aufschwung und Wohlstand, dahinter krasse soziale Gegensätze und Elend.
Im Osten: Überwachung, Unterdrückung, fanatische Kommunisten, Verfall, bescheidene Lebensverhältnisse, allgegenwärtige Angst und ein finsteres System, aus dem man flüchten möchte.
Haben Ost und West während der deutschen Teilung diejeweils andere Seite am liebsten so in Film und Fernsehen gezeigt?
Die Retrospektive »Überblendung – Vergessene Bilder von Ost und West« möchte zur Beantwortung dieser Frage beitragen, indem sie viele Raritäten präsentiert. Darunter schwer zu beschaffende Fernsehproduktionen, die wohl zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder zu sehen sind wie die Filme »Aus dem Alltag in der DDR« und vier Folgen der Serie »Familie Bergmann«: Anfang der 70er Jahre sollten sie den Westdeutschen das Leben im ihnen fremdgewordenen Osten des Landes nahebringen.
Weitere Ausgrabungen sind der ZDF-Film »Das Haus« über ein Gebäude an der Berliner Mauer, die NDR-Produktion »Gerhard Langhammer und die Freiheit« über die Probleme eines Flüchtlings im Westen oder der DEFA-Streifen »Was wäre, wenn …?«: 1960 spielte er durch, was geschehen könnte, sollte ein DDR-Dorf plötzlich die Seite wechseln – mit »Die Dubrow-Krise« entstand 1968 ein ähnlicher Film im Westen.
Zu den Raritäten zählen auch »Mord im Märkischen Viertel« über einen Kriminalfall in West-Berlin und »Brandstellen«,
die DEFA-Adaption eines Romans von Franz Josef Degenhardt. Schon 1966 war mit »Irrlicht und Feuer« ein gesellschaftskritisches Buch eines westdeutschen Autors, hier Max von der Grün, für das DDR-Fernsehen adaptiert worden. Und auch die ARD hatte diesen Zweiteiler 1968 gesendet.
Auf einen selbstkritischen Blick auf die eigene Seite verzichteten auch viele Westfilme über den Osten nicht. Ob in »Postlagernd Turteltaube«, »Flucht nach Berlin« oder »Gedenktag« (über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953): Immer wieder lautete der Hauptvorwurf, die satten Westler interessiere der Osten nicht mehr.
Die Kritik, welche selbst diese Westfilme am Westen übten, verstärkte das Dilemma der Ostfilme: Eine differenzierte Darstellung der Zustände im Westen wie in »Zwischenfall in Benderath« war ohnehin eher die Ausnahme, oft wurde übertrieben und die Kritik an den Problemen entsprechend unscharf.
So wollte »Aktion J« nachweisen, dass Adenauers Kanzleramtsminister Hans Globke beim Holocaust eine gleich große Rolle gespielt hatte wie Adolf Eichmann. »Freispruch mangels Beweises«, die Verfilmung einer Münchner Affäre, wurde wenig später von der realen Entwicklung widerlegt. Gleiches war schon »Das verurteilte Dorf« widerfahren.
Da es unglaubwürdig gewesen wäre, verelendete Proletariermassen zu zeigen, widmeten sich die Ostfilme über den Westen gern den »besseren« Kreisen – und damit der Präsentation eines besonders schicken Ambientes und Lebensstils. Eine Produktion wie »Spielbankaffäre« wurde deshalb im Osten nur verstümmelt, in Schwarzweiß und im Bildformat 4:3 gezeigt. Und selbst ein Film, der von der Bundesrepublik so angewidert war wie »Der Hauptmann von Köln«, oder die Agentenserie »Das unsichtbare Visier« tappten in diese Falle.
Zu jeder der vierzig Produktionen gibt es eine fachkundige Einführung.