

Meier | Retro Überblendung
29.1.23 | 20:30 Uhr
BRD 1985/86 – 95 Min. – Farbe – R+B: Peter Timm – K: Klaus Eichhammer – M: Peter Goldfuß (d.i. Günther Fischer) – D: Rainer Grenkowitz, Nadja Engelbrecht, Alexander Hauff, Joachim Kemmer, Dieter Hildebrandt
Zu Gast: Peter Timm
Im letzten Jahrzehnt der deutschen Teilung mieden bundesdeutsche Filmemacher dieses Thema weitgehend, weil es nur noch wenige Westler interessierte und zudem jeder, der einen kritischen Blick auf die DDR warf, rasch als „Kalter Krieger“ abgekanzelt wurde. Nicht von ungefähr stammt einer der wenigen Kinofilme jener Zeit über „drüben“ von einem Ex-DDR-Bürger und wurde dafür die Form der relativ unverfänglichen (Tragi-) Komödie gewählt: Der 1950 geborene Peter Timm, als junger Mann in der DDR erst Funktionär, dann Justizopfer, erzählte vom Leiter einer Ost-Berliner Tapeziererbrigade, der sich dank einer Erbschaft einen gefälschten West-Pass verschafft und nach einer Weltreise einen schwunghaften Privatimport begehrter Raufasertapete in den Osten beginnt. Dorthin kehrt der junge Mann immer wieder zurück, verheddert sich dabei aber in den alltäglichen Absurditäten des Lebens im geteilten Berlin.
Mit seinem Erstling schuf Timm jene DDR-Satire, die in der DDR nicht möglich gewesen wäre, wobei er seine Kritik fast zu dezent vorbrachte, und – ganz in der Selbstkritiktradition von Westfilmen über den Osten – auch ignorante West-Berliner zeigte, die nicht verstehen, wie jemand freiwillig im Osten leben kann. Dieser wurde gekennzeichnet durch Spruchbänder, Wimpel und ähnliche Utensilien sowie mehr oder weniger verwahrloste Gebäude. Timm erhielt für „Meier“ den Ernst-Lubitsch-Preis für die beste komödiantische Leistung im deutschen Film sowie den Bayerischen Filmpreis als bester Nachwuchsregisseur.
Wie sich nach dem Zusammenbruch der SED-Diktatur herausstellte, war die Stasi schon frühzeitig darüber informiert, was der Ex-DDR-Bürger Timm hier vorhatte und machte.
Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Retro Überblendung:
Im Westen: Arbeitslosigkeit, Drogensucht, alte und neue Nazis, Prostitution, perspektivlose Jugendliche, falscher Schein von Aufschwung und Wohlstand, dahinter krasse soziale Gegensätze und Elend.
Im Osten: Überwachung, Unterdrückung, fanatische Kommunisten, Verfall, bescheidene Lebensverhältnisse, allgegenwärtige Angst und ein finsteres System, aus dem man flüchten möchte.
Haben Ost und West während der deutschen Teilung diejeweils andere Seite am liebsten so in Film und Fernsehen gezeigt?
Die Retrospektive »Überblendung – Vergessene Bilder von Ost und West« möchte zur Beantwortung dieser Frage beitragen, indem sie viele Raritäten präsentiert. Darunter schwer zu beschaffende Fernsehproduktionen, die wohl zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder zu sehen sind wie die Filme »Aus dem Alltag in der DDR« und vier Folgen der Serie »Familie Bergmann«: Anfang der 70er Jahre sollten sie den Westdeutschen das Leben im ihnen fremdgewordenen Osten des Landes nahebringen.
Weitere Ausgrabungen sind der ZDF-Film »Das Haus« über ein Gebäude an der Berliner Mauer, die NDR-Produktion »Gerhard Langhammer und die Freiheit« über die Probleme eines Flüchtlings im Westen oder der DEFA-Streifen »Was wäre, wenn …?«: 1960 spielte er durch, was geschehen könnte, sollte ein DDR-Dorf plötzlich die Seite wechseln – mit »Die Dubrow-Krise« entstand 1968 ein ähnlicher Film im Westen.
Zu den Raritäten zählen auch »Mord im Märkischen Viertel« über einen Kriminalfall in West-Berlin und »Brandstellen«,
die DEFA-Adaption eines Romans von Franz Josef Degenhardt. Schon 1966 war mit »Irrlicht und Feuer« ein gesellschaftskritisches Buch eines westdeutschen Autors, hier Max von der Grün, für das DDR-Fernsehen adaptiert worden. Und auch die ARD hatte diesen Zweiteiler 1968 gesendet.
Auf einen selbstkritischen Blick auf die eigene Seite verzichteten auch viele Westfilme über den Osten nicht. Ob in »Postlagernd Turteltaube«, »Flucht nach Berlin« oder »Gedenktag« (über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953): Immer wieder lautete der Hauptvorwurf, die satten Westler interessiere der Osten nicht mehr.
Die Kritik, welche selbst diese Westfilme am Westen übten, verstärkte das Dilemma der Ostfilme: Eine differenzierte Darstellung der Zustände im Westen wie in »Zwischenfall in Benderath« war ohnehin eher die Ausnahme, oft wurde übertrieben und die Kritik an den Problemen entsprechend unscharf.
So wollte »Aktion J« nachweisen, dass Adenauers Kanzleramtsminister Hans Globke beim Holocaust eine gleich große Rolle gespielt hatte wie Adolf Eichmann. »Freispruch mangels Beweises«, die Verfilmung einer Münchner Affäre, wurde wenig später von der realen Entwicklung widerlegt. Gleiches war schon »Das verurteilte Dorf« widerfahren.
Da es unglaubwürdig gewesen wäre, verelendete Proletariermassen zu zeigen, widmeten sich die Ostfilme über den Westen gern den »besseren« Kreisen – und damit der Präsentation eines besonders schicken Ambientes und Lebensstils. Eine Produktion wie »Spielbankaffäre« wurde deshalb im Osten nur verstümmelt, in Schwarzweiß und im Bildformat 4:3 gezeigt. Und selbst ein Film, der von der Bundesrepublik so angewidert war wie »Der Hauptmann von Köln«, oder die Agentenserie »Das unsichtbare Visier« tappten in diese Falle.
Zu jeder der vierzig Produktionen gibt es eine fachkundige Einführung.