Irr­licht und Feu­er | Teil 2 | Retro Über­blen­dung

22.1.23 | 16 Uhr (Teil 1) und 18.30 Uhr (Teil 2) + 26.1.23 | 18 (Teil 1) und 20.30 Uhr (Teil 2)

DDR 1966 – 93+90 Min. – Schwarz­weiß – R: Heinz Thiel, Horst E. Brandt – B: Ger­hard Beng­sch, Heinz Thiel, Horst E. Brandt – K: Horst E. Brandt – M: Hel­mut Nier – D: Gün­ther Simon, Irma Münch, Lis­sy Tem­pel­hof, Hel­ga Göring, Made­lei­ne Lierck, Wal­ter Lend­rich

Als West­deut­scher, der in sei­nem 1963 erschie­ne­nen Erfolgs­ro­man „Irr­licht und Feu­er“ eige­ne Erfah­run­gen als Kum­pel im Ruhr­berg­bau und mit der schon seit Ende der fünf­zi­ger Jah­re schwe­len­den Koh­le­ab­satz­kri­se ver­ar­bei­tet hat­te, taug­te Max von der Grün zum Kron­zeu­gen für die Lebens­ver­hält­nis­se des Pro­le­ta­ri­ats in der BRD. Die­ses tauch­te in Ost­fil­men über den Wes­ten ab Mit­te der fünf­zi­ger Jah­re erstaun­lich sel­ten auf, wenn man bedenkt, welch ent­schei­den­de Rol­le der Mar­xis­mus ihm zu­geschrieben hat­te. Das Pro­blem dürf­te der rasch wach­sen­de Mas­sen­wohl­stand im Wes­ten gewe­sen sein, der sich bald nicht mehr leug­nen ließ, für die DDR ungüns­ti­ge Ver­glei­che mit den dor­ti­gen Lebens­ver­hält­nis­sen pro­vo­zier­te und in der Arbeiter­schaft das revo­lu­tio­nä­re Feu­er weit­ge­hend lösch­te.

Als pro­mi­nen­tes Bei­spiel eines Arbei­ter­schrift­stel­lers pass­te Max von der Grün außer­dem her­vor­ra­gend zum sei­ner­zeit aus­gie­big pro­pa­gier­ten „Bit­ter­fel­der Weg“ der DDR-Kulturpolitik. Die zwei­tei­li­ge Adap­ti­on von „Irr­licht und Feu­er“, die im Auf­trag des Deut­schen Fern­seh­funks (wie das DDR-Fernsehen damals offi­zi­ell hieß) bei der DEFA ent­stand, bezeich­ne­te die „Stutt­gar­ter Zei­tung“ zwar als „Bei­spiel einer raffi­nierten Het­ze gegen die Bun­des­re­pu­blik“ vol­ler „Ver­dre­hun­gen, Unwahr­hei­ten und Ver­leum­dun­gen“ (-witz, 19.6.1968). Doch ein Groß­teil der Kri­tik an der bundes­deutschen Gesell­schaft – vor allem am Kon­sum­stre­ben, das die Ehe­frau des dif­fus dau­er­frus­trier­ten Prot­ago­nis­ten ver­kör­pert – fin­det sich in der Vor­la­ge. Eini­ge Ab­weichungen von die­ser las­sen sich mit dem Bestre­ben begrün­den, die Hand­lung film­ge­rech­ter zu machen.

Stö­ren­der wirkt das fast völ­li­ge Feh­len von Lokal­ko­lo­rit, auch wenn eini­ge Außen­aufnahmen im Ruhr­ge­biet ent­stan­den (meist frei­lich das mit­tel­deut­sche Industrie­revier das rheinisch-westfälische dou­bel­te); so spre­chen nahe­zu alle Dar­stel­ler geschult und in lupen­rei­nem Hoch­deutsch.

Unge­nannt wirk­te Max von der Grün an der Adap­ti­on mit und ver­tei­dig­te die­se auch, als sie am 17. und 18. Juni 1968 zur bes­ten Sen­de­zeit in der ARD (offi­zi­el­ler Name ihres Gemein­schafts­pro­gramms damals: Deut­sches Fern­se­hen) lief, jeweils gefolgt von einer Sen­dung über die­sen Film, an des­sen Bei­spiel dis­ku­tiert wer­den soll­te: „Wie sieht uns die DDR?“

Geför­dert mit Mit­teln der Bun­des­stif­tung zur Auf­ar­bei­tung der SED-Diktatur.

Retro Über­blen­dung:
Im Wes­ten: Arbeits­lo­sig­keit, Dro­gen­sucht, alte und neue ­Nazis, Pro­sti­tu­ti­on, per­spek­tiv­lo­se Jugend­li­che, fal­scher Schein von Auf­schwung und Wohl­stand, dahin­ter kras­se ­sozia­le Gegen­sätze und Elend.
Im Osten: Über­wa­chung, Unter­drü­ckung, fana­ti­sche ­Kom­mu­nis­ten, Ver­fall, beschei­de­ne Lebens­verhältnisse, all­gegenwärtige Angst und ein fin­ste­­res Sys­tem, aus dem man flüch­ten möch­te.
Haben Ost und West wäh­rend der deut­schen Tei­lung die­je­weils ande­re Sei­te am liebs­ten so in Film und Fern­se­hen ­gezeigt?
Die Retro­spek­ti­ve »Über­blen­dung – Ver­ges­se­ne Bil­der von Ost und West« möch­te zur Beant­wor­tung die­ser Fra­ge bei­tragen, indem sie vie­le Rari­tä­ten prä­sen­tiert. Dar­un­ter schwer zu ­beschaf­fen­de Fern­seh­pro­duk­tio­nen, die wohl zum ers­ten Mal seit Jahr­zehn­ten wie­der zu sehen sind wie die ­Fil­me »Aus dem All­tag in der DDR« und vier Fol­gen der Serie »Fami­lie Berg­mann«: Anfang der 70er Jah­re soll­ten sie den West­deut­schen das ­Leben im ihnen fremd­ge­wor­de­nen Osten des Lan­des nahe­bringen.
Wei­te­re Aus­gra­bun­gen sind der ZDF-Film »Das Haus« über ein Gebäu­de an der Ber­li­ner Mau­er, die NDR-Produktion »Ger­hard Lang­ham­mer und die Frei­heit« über die Pro­ble­me eines Flücht­lings im Wes­ten oder der DEFA-Streifen »Was wäre, wenn …?«: 1960 spiel­te er durch, was gesche­hen könn­te, soll­te ein ­DDR-Dorf plötz­lich die Sei­te wech­seln – mit »Die Dubrow-­Krise« ent­stand 1968 ein ähn­li­cher Film im Wes­ten.
Zu den Rari­tä­ten zäh­len auch »Mord im Mär­ki­schen Vier­tel« über einen Kri­mi­nal­fall in West-Berlin und »Brand­stel­len«,
die DEFA-Adaption eines Romans von Franz Josef Degen­hardt. Schon 1966 war mit »Irr­licht und Feu­er« ein gesellschafts­kritisches Buch eines west­deut­schen Autors, hier Max von der Grün, für das DDR-Fernsehen adap­tiert wor­den. Und auch die ARD hat­te die­sen Zwei­tei­ler 1968 gesen­det.
Auf einen selbst­kri­ti­schen Blick auf die eige­ne Sei­te ver­zich­te­ten auch vie­le West­fil­me über den Osten nicht. Ob in ­»Post­la­gernd Tur­tel­tau­be«, »Flucht nach Ber­lin« oder »Gedenk­tag« (über den Volks­auf­stand vom 17. Juni 1953): Immer wie­der lau­te­te der Haupt­vor­wurf, die sat­ten West­ler inter­es­sie­re der Osten nicht mehr.
Die Kri­tik, wel­che selbst die­se West­fil­me am Wes­ten übten, ver­stärk­te das Dilem­ma der Ost­fil­me: Eine dif­fe­ren­zier­te Dar­stel­lung der Zustän­de im Wes­ten wie in »Zwi­schen­fall in Ben­de­rath« war ohne­hin eher die Aus­nah­me, oft wur­de über­trie­ben und die Kri­tik an den Pro­ble­men ent­spre­chend unscharf.
So woll­te »Akti­on J« nach­wei­sen, dass Ade­nau­ers Kanz­ler­amts­mi­nis­ter Hans Glob­ke beim Holo­caust eine gleich gro­ße Rol­le gespielt hat­te wie Adolf Eich­mann. »Frei­spruch man­gels ­Bewei­ses«, die Ver­fil­mung einer Münch­ner Affä­re, wur­de ­wenig spä­ter von der rea­len Ent­wick­lung wider­legt. Glei­ches war schon »Das ver­ur­teil­te Dorf« wider­fah­ren.
Da es unglaub­wür­dig gewe­sen wäre, ver­elen­de­te Pro­le­ta­rier­mas­sen zu zei­gen, wid­me­ten sich die Ost­fil­me über den Wes­ten gern den »bes­se­ren« Krei­sen – und damit der Prä­sen­ta­ti­on ­eines beson­ders schi­cken Ambi­en­tes und Lebens­stils. Eine ­Pro­duk­ti­on wie »Spiel­bank­af­fä­re« wur­de des­halb im Osten nur ver­stüm­melt, in Schwarz­weiß und im Bild­for­mat 4:3 ­gezeigt. Und selbst ein Film, der von der Bun­des­re­pu­blik so ange­wi­dert war wie »Der Haupt­mann von Köln«, oder die Agen­ten­se­rie »Das unsicht­ba­re Visier« tapp­ten in die­se Fal­le.
Zu jeder der vier­zig Pro­duk­tio­nen gibt es eine fach­kun­di­ge Ein­füh­rung.

Datum

So 22. Januar 2023
vorbei!

Uhrzeit

18:30

Preis

8 € / erm. 6 € | zzgl. VVK-Geb.

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Ort

KINO Brotfabrik
Kategorie
Brotfabrik Berlin

Veranstalter

Brotfabrik Berlin
Phone
+49 30 471 40 01
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