

Ich – Axel Cäsar Springer – Teil 3: Seid nett zueinander | Retro Überblendung
24.1.23 | 20:30 Uhr
Teil 3: Seid nett zueinander
DDR 1968 – 121 Min. – Schwarzweiß – R: Achim Hübner – B: Karl Georg Egel, Harri Czepuck – K: Hans Heinrich, Günter Eisinger – M: Wolfgang Pietsch – D: Horst Drinda, Herwart Grosse, Dietrich Körner, Wolfgang Dehler, Hanns Anselm Perten, Heinz Scholz, Ekkehard Schall
Als bedeutendster Zeitungsverleger der Bundesrepublik und West-Berlins und erklärter Gegner der DDR war Axel Springer (1912-1985) eines der bevorzugten Hassobjekte der DDR-Propaganda. Ende der sechziger Jahre, als die Kritik an seiner publizistischen Macht und politischen Ausrichtung auch im Westen hohe Wogen schlug, wurde dem Hamburger die spezielle Ehre zuteil, dass das DDR-Fernsehen in fünf abendfüllenden Spielfilmen seinen Werdegang nachzeichnete, Untertitel: „Erklärung eines Wunders – Tatsachen und Deutungen“.
Springer wurde dabei als gefährlich labiler Charakter dargestellt: Einerseits ein psychisch instabiler, sich gern selbst bemitleidender Jammerlappen, andererseits ein durchtriebener, skrupelloser Intrigant. So erscheint er als ideales Werkzeug für jene reaktionären und nazistischen Kreise, welche in der jungen Bundesrepublik (mit Unterstützung der westlichen Besatzungsmächte) in Wahrheit das Sagen haben – zumindest dem Film zufolge, der damit ein Lieblingsmuster der östlichen Darstellung Westdeutschlands wiederholt.
Der dritte Teil der Fernsehfilmreihe, der mit „Seid nett zueinander“ ein berühmtes Motto der Springer-Presse als Titel benutzt, zeigt, wie der Verleger sein frisch ererbtes Imperium nicht nur mit Hilfe von Intrigen, sondern vor allem mit Nazigeld vor dem Bankrott retten und – mit der Gründung von „Bild“ und der Übernahme der „Welt“ – weiter aufbauen kann. Dabei taucht der Verleger in dieser, in den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren angesiedelten Folge relativ wenig auf, zumal viel Raum die Parallelhandlung um einen wackeren kommunistischen Druckereimitarbeiter einnimmt, dem im restaurativen Klima der jungen Bundesrepublik übel mitgespielt wird. Nebenher lässt man sich die Gelegenheit nicht entgehen, auch weiteren Lieblingsgegnern wie Franz Josef Strauß, der „verräterischen“ SPD oder deren „Strippenzieher“ Herbert Wehner, Ex-Kommunist und 1968 Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen, eine mitzugeben.
Als Beleg für die verwerflichen antikommunistischen Umtriebe der Springer-Presse dient dem Film übrigens auch die legendär gewordene und viel belachte „Bild“-Schlagzeile „Ostzonen-Suppenwürfel bringen Krebs“. Mittlerweile in Vergessenheit geraten ist, dass sie nicht der überhitzten Phantasie fanatischer Schreiberlinge entstammte, sondern auf einer Verfügung des SED-geführten Gesundheitsministeriums von Sachsen-Anhalt beruhte, welches tatsächlich dort produzierte Suppenwürfel aus dem Verkehr gezogen hatte, weil diese als krebserregend identifiziert worden waren.
Ein Film aus dem Deutschen Rundfunkarchiv.
Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Retro Überblendung:
Im Westen: Arbeitslosigkeit, Drogensucht, alte und neue Nazis, Prostitution, perspektivlose Jugendliche, falscher Schein von Aufschwung und Wohlstand, dahinter krasse soziale Gegensätze und Elend.
Im Osten: Überwachung, Unterdrückung, fanatische Kommunisten, Verfall, bescheidene Lebensverhältnisse, allgegenwärtige Angst und ein finsteres System, aus dem man flüchten möchte.
Haben Ost und West während der deutschen Teilung diejeweils andere Seite am liebsten so in Film und Fernsehen gezeigt?
Die Retrospektive »Überblendung – Vergessene Bilder von Ost und West« möchte zur Beantwortung dieser Frage beitragen, indem sie viele Raritäten präsentiert. Darunter schwer zu beschaffende Fernsehproduktionen, die wohl zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder zu sehen sind wie die Filme »Aus dem Alltag in der DDR« und vier Folgen der Serie »Familie Bergmann«: Anfang der 70er Jahre sollten sie den Westdeutschen das Leben im ihnen fremdgewordenen Osten des Landes nahebringen.
Weitere Ausgrabungen sind der ZDF-Film »Das Haus« über ein Gebäude an der Berliner Mauer, die NDR-Produktion »Gerhard Langhammer und die Freiheit« über die Probleme eines Flüchtlings im Westen oder der DEFA-Streifen »Was wäre, wenn …?«: 1960 spielte er durch, was geschehen könnte, sollte ein DDR-Dorf plötzlich die Seite wechseln – mit »Die Dubrow-Krise« entstand 1968 ein ähnlicher Film im Westen.
Zu den Raritäten zählen auch »Mord im Märkischen Viertel« über einen Kriminalfall in West-Berlin und »Brandstellen«,
die DEFA-Adaption eines Romans von Franz Josef Degenhardt. Schon 1966 war mit »Irrlicht und Feuer« ein gesellschaftskritisches Buch eines westdeutschen Autors, hier Max von der Grün, für das DDR-Fernsehen adaptiert worden. Und auch die ARD hatte diesen Zweiteiler 1968 gesendet.
Auf einen selbstkritischen Blick auf die eigene Seite verzichteten auch viele Westfilme über den Osten nicht. Ob in »Postlagernd Turteltaube«, »Flucht nach Berlin« oder »Gedenktag« (über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953): Immer wieder lautete der Hauptvorwurf, die satten Westler interessiere der Osten nicht mehr.
Die Kritik, welche selbst diese Westfilme am Westen übten, verstärkte das Dilemma der Ostfilme: Eine differenzierte Darstellung der Zustände im Westen wie in »Zwischenfall in Benderath« war ohnehin eher die Ausnahme, oft wurde übertrieben und die Kritik an den Problemen entsprechend unscharf.
So wollte »Aktion J« nachweisen, dass Adenauers Kanzleramtsminister Hans Globke beim Holocaust eine gleich große Rolle gespielt hatte wie Adolf Eichmann. »Freispruch mangels Beweises«, die Verfilmung einer Münchner Affäre, wurde wenig später von der realen Entwicklung widerlegt. Gleiches war schon »Das verurteilte Dorf« widerfahren.
Da es unglaubwürdig gewesen wäre, verelendete Proletariermassen zu zeigen, widmeten sich die Ostfilme über den Westen gern den »besseren« Kreisen – und damit der Präsentation eines besonders schicken Ambientes und Lebensstils. Eine Produktion wie »Spielbankaffäre« wurde deshalb im Osten nur verstümmelt, in Schwarzweiß und im Bildformat 4:3 gezeigt. Und selbst ein Film, der von der Bundesrepublik so angewidert war wie »Der Hauptmann von Köln«, oder die Agentenserie »Das unsichtbare Visier« tappten in diese Falle.
Zu jeder der vierzig Produktionen gibt es eine fachkundige Einführung.