

Gerhard Langhammer und die Freiheit | Retro Überblendung
17.1.23 | 20:30 Uhr
BRD 1967 – 89 Min. – Schwarzweiß – R: Rolf Busch – B: Dieter Meischner – K: Frank A. Banuscher – D: Henning Gissel, Joachim Ansorge, Christine Soetbeer, Gaby Blum, Uwe Dallmeier, Sergio Merli, Sylvia Beck
Vorfilm: o.k.
DDR 1965 – 31 Min. – Schwarzweiß – R+B: Walter Heynowski – K: Hans E. Leupold, Claus Neumann – M: Andre Asriel
Nach dem Mauerbau wurde in der DDR zuweilen suggeriert, dieser gehöre zur sozialistischen Rundumbetreuung, da er die Menschen daran hindere, in ihr Unglück (sprich: den Westen) zu laufen. Walter Heynowski und Gerhard Scheumann (der hier als Interviewer auftritt) zeigten dies in ihrem Kurzfilm „o.k.“ am Beispiel einer jungen Frau, die im Zuge der Familienzusammenführung aus der DDR in die Bundesrepublik hatte ausreisen dürfen. Dort geriet sie aber bald ins Rotlichtmilieu – ein Schicksal, welches einem beliebten Narrativ der DDR-Propaganda zufolge eigentlich allen jungen Frauen im Westen blühte. „Fräulein Doris“ verschlug es sogar in eines jener berühmt-berüchtigten Nester in Rheinland-Pfalz, wo sich dort stationierte amerikanische Soldaten reihenweise mit deutschen Mädels vergnügten – ein auch wegen des von einer Animierdame erwarteten Alkoholkonsums auf die Dauer sehr ungesunder Zustand. Reumütig kehrte die junge Frau in die sozialistische Heimat zurück, wo Heynowski und Scheumann sie nun nach ihren Erfahrungen befragten. So wird klar: ’s ist nirgends besser als daheim und hinter dem Eisernen Vorhang gibt es nichts, was man sehen oder gar erleben möchte.
Welche Probleme Menschen aus dem Osten im Westen haben können, thematisierte wenig später auch der Spielfilm „Gerhard Langhammer und die Freiheit“, den Dieter Meichsner nach Motiven aus Jörg Lollands Roman „Die wir gerufen haben“ geschrieben hatte. Schon im Vorspann wurde die Produktion selbstbewusst bezeichnet als „ein Film des NDR“, hatte doch Egon Monk die Hauptabteilung Fernsehspiel des Norddeutschen Rundfunks seit 1960 zur bedeutendsten Fernsehspielschmiede der Bundesrepublik aufgebaut, deren kritische, zuweilen auch experimentelle Arbeiten zur Gegenwart und jüngsten Vergangenheit Deutschlands für viel Aufsehen sorgten. Wie Meichsner aus Berlin stammend, hatte Monk den Ostteil der Stadt, seinen Lehrmeister Brecht und dessen Berliner Ensemble 1953 verlassen.
„Gerhard Langhammer und die Freiheit“ schildert, in eher kühl-distanzierter Form, wie ein DDR-Grenzsoldat, dem die Flucht in den Westen gelang, sich dort allmählich zurechtzufinden versucht, was ihm nur bedingt gelingt. Dabei scheint sich manches, wie die Arroganz einiger Westler und der trotzige Stolz des Ostlers, der andererseits keinesfalls (in) die DDR zurück will, bis heute nicht geändert zu haben.
Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Retro Überblendung:
Im Westen: Arbeitslosigkeit, Drogensucht, alte und neue Nazis, Prostitution, perspektivlose Jugendliche, falscher Schein von Aufschwung und Wohlstand, dahinter krasse soziale Gegensätze und Elend.
Im Osten: Überwachung, Unterdrückung, fanatische Kommunisten, Verfall, bescheidene Lebensverhältnisse, allgegenwärtige Angst und ein finsteres System, aus dem man flüchten möchte.
Haben Ost und West während der deutschen Teilung diejeweils andere Seite am liebsten so in Film und Fernsehen gezeigt?
Die Retrospektive »Überblendung – Vergessene Bilder von Ost und West« möchte zur Beantwortung dieser Frage beitragen, indem sie viele Raritäten präsentiert. Darunter schwer zu beschaffende Fernsehproduktionen, die wohl zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder zu sehen sind wie die Filme »Aus dem Alltag in der DDR« und vier Folgen der Serie »Familie Bergmann«: Anfang der 70er Jahre sollten sie den Westdeutschen das Leben im ihnen fremdgewordenen Osten des Landes nahebringen.
Weitere Ausgrabungen sind der ZDF-Film »Das Haus« über ein Gebäude an der Berliner Mauer, die NDR-Produktion »Gerhard Langhammer und die Freiheit« über die Probleme eines Flüchtlings im Westen oder der DEFA-Streifen »Was wäre, wenn …?«: 1960 spielte er durch, was geschehen könnte, sollte ein DDR-Dorf plötzlich die Seite wechseln – mit »Die Dubrow-Krise« entstand 1968 ein ähnlicher Film im Westen.
Zu den Raritäten zählen auch »Mord im Märkischen Viertel« über einen Kriminalfall in West-Berlin und »Brandstellen«,
die DEFA-Adaption eines Romans von Franz Josef Degenhardt. Schon 1966 war mit »Irrlicht und Feuer« ein gesellschaftskritisches Buch eines westdeutschen Autors, hier Max von der Grün, für das DDR-Fernsehen adaptiert worden. Und auch die ARD hatte diesen Zweiteiler 1968 gesendet.
Auf einen selbstkritischen Blick auf die eigene Seite verzichteten auch viele Westfilme über den Osten nicht. Ob in »Postlagernd Turteltaube«, »Flucht nach Berlin« oder »Gedenktag« (über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953): Immer wieder lautete der Hauptvorwurf, die satten Westler interessiere der Osten nicht mehr.
Die Kritik, welche selbst diese Westfilme am Westen übten, verstärkte das Dilemma der Ostfilme: Eine differenzierte Darstellung der Zustände im Westen wie in »Zwischenfall in Benderath« war ohnehin eher die Ausnahme, oft wurde übertrieben und die Kritik an den Problemen entsprechend unscharf.
So wollte »Aktion J« nachweisen, dass Adenauers Kanzleramtsminister Hans Globke beim Holocaust eine gleich große Rolle gespielt hatte wie Adolf Eichmann. »Freispruch mangels Beweises«, die Verfilmung einer Münchner Affäre, wurde wenig später von der realen Entwicklung widerlegt. Gleiches war schon »Das verurteilte Dorf« widerfahren.
Da es unglaubwürdig gewesen wäre, verelendete Proletariermassen zu zeigen, widmeten sich die Ostfilme über den Westen gern den »besseren« Kreisen – und damit der Präsentation eines besonders schicken Ambientes und Lebensstils. Eine Produktion wie »Spielbankaffäre« wurde deshalb im Osten nur verstümmelt, in Schwarzweiß und im Bildformat 4:3 gezeigt. Und selbst ein Film, der von der Bundesrepublik so angewidert war wie »Der Hauptmann von Köln«, oder die Agentenserie »Das unsichtbare Visier« tappten in diese Falle.
Zu jeder der vierzig Produktionen gibt es eine fachkundige Einführung.