

Geisterstunde | Retro Überblendung
20.1.23 | 20:30 Uhr
DDR 1967 – 78 Min. – Farbe – R+B: Walter Heynowski, Gerhard Scheumann –
K: Peter Hellmich – M: Reiner Bredemeyer
Walter Heynowski und Gerhard Scheumann waren wohl die privilegiertesten Filmemacher der DDR. Über weite Strecken ihres Schaffens konnten sie mit ihrem „Studio H&S“ sogar unabhängig von der DEFA agieren. Bis heute ist umstritten, wie redlich ihre Dokumentarfilme sind, von denen sie freilich selbst nicht verleugneten, dass diese auch und vielleicht sogar in erster Linie Mittel im Ost-West-Konflikt waren.
Die Methode, unter falscher Identität aufzutreten oder seine wahre zumindest nicht zu offenbaren, hatten sie freilich weder erfunden noch gepachtet. Auf diese Weise näherten sie sich auch der Wahrsagerin Margarethe Goussanthier alias „Buchela“ (1899-1986), die in den sechziger Jahren zu einem gewissen Ruhm gelangt war als „Orakel von Bonn“ und „Pythia vom Rhein“.
Stets auf internationale Wirkung bedacht, drehten Heynowski und Scheumann „Geisterstunde“ 1966 im Auftrag des Adlershofer Fernsehfunks sogar in Farbe, obwohl das Farbfernsehen in der DDR erst im Herbst 1969 eingeführt wurde.
Mit aller Macht versuchten sie mit diesem Film (Untertitel: „Auge in Auge mit dem Mittelalter“) ein weiteres Mal eine vorgefertigte These zu belegen: Die Bundesrepublik als fauliger Hort von Irrationalismus und alten Geistern, wo nicht nur die Geknechteten wegen aller möglicher Krisen, sondern auch die Mächtigen angesichts ihres unvermeidlichen Untergangs an irgendwelchen Hokuspokus glauben (derweil man in der DDR den streng wissenschaftlichen Lehren des Marxismus-Leninismus folgt, die den unweigerlichen weiteren Verlauf der Weltgeschichte kennen, weshalb man dort planmäßig in eine glückliche Zukunft voranschreitet).
Freilich gaben dies weder die Fakten, die man präsentieren, noch die Bilder, die man machen konnte, her: So verbreitete man notgedrungen Gerüchte weiter, vergaß auch nicht, die DDR-Lieblingsfeinde Franz Josef Strauß und Axel Springer abzuwatschen, und sollte nicht auch Adenauer schon bei „Buchela“ gewesen sein? Vielleicht am misslichsten aber war, dass die freundliche alte Dame kaum den Eindruck einer hintertriebenen Intrigantin machte, welche Menschen teuflisch manipulierte, dass sie vielmehr weder hochgebildet noch besonders sprachgewandt erschien und statt sich offenkundig an Reichen wie verzweifelten Opfern der Gesellschaft zu bereichern doch eher kleine Summen für ihre Ratschläge nahm und dementsprechend in recht bescheiden anmutenden Verhältnissen lebte.
Ein Film aus dem Deutschen Rundfunkarchiv.
Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Retro Überblendung:
Im Westen: Arbeitslosigkeit, Drogensucht, alte und neue Nazis, Prostitution, perspektivlose Jugendliche, falscher Schein von Aufschwung und Wohlstand, dahinter krasse soziale Gegensätze und Elend.
Im Osten: Überwachung, Unterdrückung, fanatische Kommunisten, Verfall, bescheidene Lebensverhältnisse, allgegenwärtige Angst und ein finsteres System, aus dem man flüchten möchte.
Haben Ost und West während der deutschen Teilung diejeweils andere Seite am liebsten so in Film und Fernsehen gezeigt?
Die Retrospektive »Überblendung – Vergessene Bilder von Ost und West« möchte zur Beantwortung dieser Frage beitragen, indem sie viele Raritäten präsentiert. Darunter schwer zu beschaffende Fernsehproduktionen, die wohl zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder zu sehen sind wie die Filme »Aus dem Alltag in der DDR« und vier Folgen der Serie »Familie Bergmann«: Anfang der 70er Jahre sollten sie den Westdeutschen das Leben im ihnen fremdgewordenen Osten des Landes nahebringen.
Weitere Ausgrabungen sind der ZDF-Film »Das Haus« über ein Gebäude an der Berliner Mauer, die NDR-Produktion »Gerhard Langhammer und die Freiheit« über die Probleme eines Flüchtlings im Westen oder der DEFA-Streifen »Was wäre, wenn …?«: 1960 spielte er durch, was geschehen könnte, sollte ein DDR-Dorf plötzlich die Seite wechseln – mit »Die Dubrow-Krise« entstand 1968 ein ähnlicher Film im Westen.
Zu den Raritäten zählen auch »Mord im Märkischen Viertel« über einen Kriminalfall in West-Berlin und »Brandstellen«,
die DEFA-Adaption eines Romans von Franz Josef Degenhardt. Schon 1966 war mit »Irrlicht und Feuer« ein gesellschaftskritisches Buch eines westdeutschen Autors, hier Max von der Grün, für das DDR-Fernsehen adaptiert worden. Und auch die ARD hatte diesen Zweiteiler 1968 gesendet.
Auf einen selbstkritischen Blick auf die eigene Seite verzichteten auch viele Westfilme über den Osten nicht. Ob in »Postlagernd Turteltaube«, »Flucht nach Berlin« oder »Gedenktag« (über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953): Immer wieder lautete der Hauptvorwurf, die satten Westler interessiere der Osten nicht mehr.
Die Kritik, welche selbst diese Westfilme am Westen übten, verstärkte das Dilemma der Ostfilme: Eine differenzierte Darstellung der Zustände im Westen wie in »Zwischenfall in Benderath« war ohnehin eher die Ausnahme, oft wurde übertrieben und die Kritik an den Problemen entsprechend unscharf.
So wollte »Aktion J« nachweisen, dass Adenauers Kanzleramtsminister Hans Globke beim Holocaust eine gleich große Rolle gespielt hatte wie Adolf Eichmann. »Freispruch mangels Beweises«, die Verfilmung einer Münchner Affäre, wurde wenig später von der realen Entwicklung widerlegt. Gleiches war schon »Das verurteilte Dorf« widerfahren.
Da es unglaubwürdig gewesen wäre, verelendete Proletariermassen zu zeigen, widmeten sich die Ostfilme über den Westen gern den »besseren« Kreisen – und damit der Präsentation eines besonders schicken Ambientes und Lebensstils. Eine Produktion wie »Spielbankaffäre« wurde deshalb im Osten nur verstümmelt, in Schwarzweiß und im Bildformat 4:3 gezeigt. Und selbst ein Film, der von der Bundesrepublik so angewidert war wie »Der Hauptmann von Köln«, oder die Agentenserie »Das unsichtbare Visier« tappten in diese Falle.
Zu jeder der vierzig Produktionen gibt es eine fachkundige Einführung.