Frei­spruch man­gels Bewei­ses | Retro Über­blen­dung

25.1.23 | 20.:30 Uhr

DDR 1961/62 – 93 Min. – Schwarz­weiß – R: Richard Gro­schopp – B: Lothar Creutz, Carl Andries­sen, Richard Gro­schopp – K: Gün­ter Hau­bold – M: Wolf­gang Les­ser – D: Erich Ger­ber­ding, Her­wart Gros­se, Lis­sy Tem­pel­hof, Ivan Mal­ré, Horst Schul­ze, Ste­fan Lisew­ski, Moni­ka Ber­gen

Richard Gro­schopp (1906-96), der vom Amateur-, Werbe- und Indus­trie­film kam, ent­wi­ckel­te bei der jun­gen DEFA die sati­ri­sche Kurz­film­rei­he „Das Sta­chel­tier“ mit und avan­cier­te dann zu einem viel­be­schäf­tig­ten Regis­seur und Dreh­buch­au­tor von Spiel­fil­men. Kurz nach dem Mau­er­bau und vor sei­nem heu­te bekann­te­ren Werk

„Die Glatz­kopf­ban­de“ schuf er die­sen Film, der in DEFA-üblicher Manier zei­gen woll­te, wie es in West­deutsch­land zuging: Ein Münch­ner „Pres­se­zar“ (der eigenartiger­weise nur über eine ein­zi­ge Zei­tung ver­fügt, die ihm noch nicht ein­mal voll­stän­dig gehört) möch­te eine neue Zeit­schrift her­aus­brin­gen. Auf­ma­cher soll die Ent­hül­lung der ille­ga­len Wahl­kampf­fi­nan­zie­rung der CSU sein. Die Par­tei fädelt gegen ihn eine Intri­ge ein, die in einem Pro­zess wegen sexu­el­len Miss­brauchs und Anstif­tung zur Abtrei­bung gip­felt. Zwar bricht die Ankla­ge zusam­men, doch Anse­hen und Exis­tenz des zu Unrecht Beschul­dig­ten sind rui­niert.

„Frei­spruch man­gels Bewei­ses“ greift tat­säch­li­ches Gesche­hen auf, wel­ches sich kurz zuvor in Mün­chen zuge­tra­gen hat­te. Aller­dings war der betref­fen­de Jour­na­list und Ver­le­ger kei­nes­wegs völ­lig unschul­dig gewe­sen – und die Affä­re been­de­te zwar einen Abschnitt sei­ner Kar­rie­re, die er dann aber mit einer ande­ren Zei­tung minde­stens eben­so erfolg­reich fort­set­zen konn­te.

Nichts­des­to­we­ni­ger war ver­mut­lich der Reiz zu groß, mit die­sem Film auch wie­der ein­mal Franz Josef Strauß, damals Bun­des­ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter, CSU-Vorsitzender und einer der Lieb­lings­geg­ner der DDR-Propaganda, zu atta­ckie­ren. Um aber dem Pro­blem zu ent­ge­hen, Mün­chen an DDR-Schauplätzen nach­zu­stel­len, besteht der Film fast voll­stän­dig aus Innen­auf­nah­men. Bei allem Lob für sei­ne Mach­art und die Infor­ma­ti­on über die schlim­men Zustän­de im Wes­ten stie­ßen die diver­sen Unwahr­scheinlichkeiten, ohne die die kon­stru­ier­te Hand­lung nicht funk­tio­nie­ren wür­de,

schon zur Pre­mie­re im Mai 1962 auf Kri­tik. So lob­te auch Jurek Becker das fil­mi­sche Hand­werk: „Aber kein Mensch wird mir ein­re­den kön­nen, daß ein west­deut­scher Geschäfts­mann sei­ne Exis­tenz aufs Spiel setzt, um zu tes­ten, wie weit er die­se Schein­de­mo­kra­tie stra­pa­zie­ren darf. Im Jah­re 1961 oder 1962 hät­ten Stein­horst Hun­der­te vor­aus­ge­gan­ge­ner Ruf­mord­af­fä­ren dar­über auf­klä­ren müs­sen, daß der Weg, den er ein­schlägt, mit Sicher­heit nicht zum Erfolg führt.“ („Film­spie­gel“, Nr. 11 vom 1.6.1962)

Bereits im Okto­ber 1962 wur­de die Behaup­tung, ein sol­cher Ruf­mord wäre durch Ver­rat, Illoya­li­tät und Kor­rum­pier­bar­keit in den „bes­se­ren“ Krei­sen, der Medien­branche und eine gleich­gül­ti­ge, ein­fach mani­pu­lier­ba­re Öffent­lich­keit der Bundes­republik leicht mög­lich, wider­legt durch die Reak­tio­nen auf die „Spiegel“-Affäre, wel­che Franz Josef Strauß einen nach­hal­ti­gen Kar­rie­re­knick zufüg­te.

Ein Film aus dem Bundesarchiv-Filmarchiv.

Geför­dert mit Mit­teln der Bun­des­stif­tung zur Auf­ar­bei­tung der SED-Diktatur.

 

Retro Über­blen­dung:
Im Wes­ten: Arbeits­lo­sig­keit, Dro­gen­sucht, alte und neue ­Nazis, Pro­sti­tu­ti­on, per­spek­tiv­lo­se Jugend­li­che, fal­scher Schein von Auf­schwung und Wohl­stand, dahin­ter kras­se ­sozia­le Gegen­sätze und Elend.
Im Osten: Über­wa­chung, Unter­drü­ckung, fana­ti­sche ­Kom­mu­nis­ten, Ver­fall, beschei­de­ne Lebens­verhältnisse, all­gegenwärtige Angst und ein fin­ste­­res Sys­tem, aus dem man flüch­ten möch­te.
Haben Ost und West wäh­rend der deut­schen Tei­lung die­je­weils ande­re Sei­te am liebs­ten so in Film und Fern­se­hen ­gezeigt?
Die Retro­spek­ti­ve »Über­blen­dung – Ver­ges­se­ne Bil­der von Ost und West« möch­te zur Beant­wor­tung die­ser Fra­ge bei­tragen, indem sie vie­le Rari­tä­ten prä­sen­tiert. Dar­un­ter schwer zu ­beschaf­fen­de Fern­seh­pro­duk­tio­nen, die wohl zum ers­ten Mal seit Jahr­zehn­ten wie­der zu sehen sind wie die ­Fil­me »Aus dem All­tag in der DDR« und vier Fol­gen der Serie »Fami­lie Berg­mann«: Anfang der 70er Jah­re soll­ten sie den West­deut­schen das ­Leben im ihnen fremd­ge­wor­de­nen Osten des Lan­des nahe­bringen.
Wei­te­re Aus­gra­bun­gen sind der ZDF-Film »Das Haus« über ein Gebäu­de an der Ber­li­ner Mau­er, die NDR-Produktion »Ger­hard Lang­ham­mer und die Frei­heit« über die Pro­ble­me eines Flücht­lings im Wes­ten oder der DEFA-Streifen »Was wäre, wenn …?«: 1960 spiel­te er durch, was gesche­hen könn­te, soll­te ein ­DDR-Dorf plötz­lich die Sei­te wech­seln – mit »Die Dubrow-­Krise« ent­stand 1968 ein ähn­li­cher Film im Wes­ten.
Zu den Rari­tä­ten zäh­len auch »Mord im Mär­ki­schen Vier­tel« über einen Kri­mi­nal­fall in West-Berlin und »Brand­stel­len«,
die DEFA-Adaption eines Romans von Franz Josef Degen­hardt. Schon 1966 war mit »Irr­licht und Feu­er« ein gesellschafts­kritisches Buch eines west­deut­schen Autors, hier Max von der Grün, für das DDR-Fernsehen adap­tiert wor­den. Und auch die ARD hat­te die­sen Zwei­tei­ler 1968 gesen­det.
Auf einen selbst­kri­ti­schen Blick auf die eige­ne Sei­te ver­zich­te­ten auch vie­le West­fil­me über den Osten nicht. Ob in ­»Post­la­gernd Tur­tel­tau­be«, »Flucht nach Ber­lin« oder »Gedenk­tag« (über den Volks­auf­stand vom 17. Juni 1953): Immer wie­der lau­te­te der Haupt­vor­wurf, die sat­ten West­ler inter­es­sie­re der Osten nicht mehr.
Die Kri­tik, wel­che selbst die­se West­fil­me am Wes­ten übten, ver­stärk­te das Dilem­ma der Ost­fil­me: Eine dif­fe­ren­zier­te Dar­stel­lung der Zustän­de im Wes­ten wie in »Zwi­schen­fall in Ben­de­rath« war ohne­hin eher die Aus­nah­me, oft wur­de über­trie­ben und die Kri­tik an den Pro­ble­men ent­spre­chend unscharf.
So woll­te »Akti­on J« nach­wei­sen, dass Ade­nau­ers Kanz­ler­amts­mi­nis­ter Hans Glob­ke beim Holo­caust eine gleich gro­ße Rol­le gespielt hat­te wie Adolf Eich­mann. »Frei­spruch man­gels ­Bewei­ses«, die Ver­fil­mung einer Münch­ner Affä­re, wur­de ­wenig spä­ter von der rea­len Ent­wick­lung wider­legt. Glei­ches war schon »Das ver­ur­teil­te Dorf« wider­fah­ren.
Da es unglaub­wür­dig gewe­sen wäre, ver­elen­de­te Pro­le­ta­rier­mas­sen zu zei­gen, wid­me­ten sich die Ost­fil­me über den Wes­ten gern den »bes­se­ren« Krei­sen – und damit der Prä­sen­ta­ti­on ­eines beson­ders schi­cken Ambi­en­tes und Lebens­stils. Eine ­Pro­duk­ti­on wie »Spiel­bank­af­fä­re« wur­de des­halb im Osten nur ver­stüm­melt, in Schwarz­weiß und im Bild­for­mat 4:3 ­gezeigt. Und selbst ein Film, der von der Bun­des­re­pu­blik so ange­wi­dert war wie »Der Haupt­mann von Köln«, oder die Agen­ten­se­rie »Das unsicht­ba­re Visier« tapp­ten in die­se Fal­le.
Zu jeder der vier­zig Pro­duk­tio­nen gibt es eine fach­kun­di­ge Ein­füh­rung.

 

Datum

Mi 25. Januar 2023
vorbei!

Uhrzeit

20:30

Preis

8 € / erm. 6 € | zzgl. VVK-Geb.

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Ort

KINO Brotfabrik
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Veranstalter

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