

Familie Bergmann | Retro Überblendung
21.1.23 | 20:30 Uhr
Folge 1: Der Autokauf
BRD 1969 – 46 Min. – Schwarzweiß – R: Herbert Ballmann – B: Traute Hellberg, Johannes Hendrich – K: Kurt Raczeck – D: Hans Elwenspoek, Lilo Hartmann, Hans-Werner Bussinger, Eva Christian, Rudolf Beiswanger, Christiane Domschke, Ronald Dehne
Folge 2: Der Kinderspielplatz
BRD 1969/70 – 45 Min. – Schwarzweiß – R: Thomas Engel – B: Traute Hellberg, Johannes Hendrich – K: Jürgen Stahf, Jupp Steiof – M: Wolfgang de Gelmini – D: Hans Elwenspoek, Lilo Hartmann, Hans-Werner Bussinger, Eva Christian, Rudolf Beiswanger, Christiane Domschke, Ronald Dehne, Reiner Ilgut, Werner Stock
Ende der sechziger Jahre, nach gut zwei Jahrzehnten der Teilung und fast einem Jahrzehnt nach dem Mauerbau, stellte man im Westen Deutschlands fest, dass einem die „Brüder und Schwestern“ auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs fremd geworden waren. Wie lebten sie wirklich, wie fühlten und dachten sie, wie sah der Alltag in der DDR aus? Herrschten Angst und Elend, hatten sich die meisten den unabänderlich erscheinenden Verhältnissen angepasst oder waren sie gar, durch die Erziehung und anderweitige Indoktrination, zu überzeugten Kommunisten geworden? War unter diesen Vorzeichen überhaupt noch an eine Wiedervereinigung zu denken? Und wie stand es um die materiellen Lebensbedingungen? Hatte es nicht auch im Osten ein – wenn auch kleineres – Wirtschaftswunder gegeben?
Um die zunehmende Entfremdung zu bekämpfen und Klischeevorstellungen durch ein realistischeres Bild zu ersetzen, entstanden ab Ende der sechziger Jahre zahlreiche Fernsehproduktionen darüber, wie es inzwischen in der DDR aussah und wie es sich dort lebte. So auch die heute völlig in Vergessenheit geratene Serie „Familie Bergmann“, von der zwischen 1969 und 1971 neun Folgen gesendet wurden. Das „Hamburger Abendblatt“ vom 21. Oktober 1970 wusste über diese Produktion der West-Berliner Landesrundfunkanstalt Sender Freies Berlin zu berichten: „Neunzig Prozent der Produktionskosten bezahlt das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, den Rest der Berliner Senat.“
Als Drehbuchautoren fungierten die 1962 aus der DDR geflüchtete Traute Hellberg, Ex-Lebensgefährtin des Theater- und Filmregisseurs Martin Hellberg, und Johannes Hendrich, der nach dem Zweiten Weltkrieg aus seiner Heimat in der Tschechoslowakei vertrieben worden war und sich zu einem renommierten Fernsehautor entwickelt hatte. Der einstige DEFA-Regisseur Herbert Ballmann gab die Regie nach der ersten Episode ab, die weiteren Folgen inszenierte Thomas Engel, Sohn des Regisseurs und engen Brecht-Mitarbeiters Erich Engel.
Die Serie startete kurz vor Weihnachten 1969 – und kurz nach dem Amtsantritt der sozial-liberalen Bundesregierung unter Willy Brandt, die eine neue Ostpolitik betreiben, auf den Osten zugehen und aus den Verhältnissen das Beste machen wollte. Die erste Folge widmete sich gleich mal Versorgungsproblemen – allerdings solchen auf hohem Niveau: Die ältere Tochter Bergmann und ihr Mann, sie Chemielaborantin, er Krankenhausarzt, haben schon nach zwei Jahren Wartezeit einen Wartburg bekommen – Kaufpreis: 17000 Mark. Die können sie ohne allzu große Probleme aufbringen, zumal Vater Bergmann 3000 Mark in bar aus dem Sparstrumpf holt.
Der richtige Ärger beginnt beim Verkauf des vorhandenen dreißig Jahre alten Wagens: Auch so ein Gefährt ist in der DDR angesichts der Fahrzeugknappheit noch sehr gefragt, und die Kaufinteressenten ergehen sich in verlockenden Zusatzangeboten. Aber so einfach einen beliebigen Preis zu nehmen, ist nicht gestattet.
Der arrogante und ignorante Westler – eine Standardfigur in Westfilmen über den Osten – fehlt auch hier nicht, wenngleich diesmal in Gestalt einer „gelernten“ Westlerin, nämlich einer ehemaligen Nachbarin, die noch vor dem Mauerbau die Seite gewechselt hat. Ihr begegnen die im Osten Gebliebenen mit jenem trotzigen Stolz, der auch (oder sogar erst recht) nach dem Ende der DDR anzutreffen war, zuweilen noch immer ist: Die Defizite sieht man sehr wohl, aber von den Westlern möchte man sie sich nicht vorhalten lassen, weshalb man zuweilen sogar verteidigt, was man selbst kritikwürdig findet.
Wohlweislich wurde „Familie Bergmann“ nicht in der stets privilegierten Metropole (Ost-) Berlin angesiedelt, sondern in Potsdam, das durch die Grenzschließung eher den Charakter einer DDR-Provinzstadt angenommen hatte, wo man aber glaubhaft viele Figuren berlinern lassen konnte. Wesentliche Außenaufnahmen entstanden in der Spandauer Altstadt und deren näherer Umgebung, allerdings wurde der Schauplatz jenseits der Grenze generell kaum über die Optik vermittelt. Außerdem sind die Lebensverhältnisse zumindest dieser DDR-Familie recht komfortabel, auch wenn das junge Paar noch immer keine eigene Wohnung hat. Recht unaufdringlich wird in die Geschichten und die Dialoge eingeflochten, was im Ostalltag anders ist als im Westen.
Die zweite Folge thematisiert schon eher das Leben in einem totalitären System, die damit verbundenen Ängste und das daraus folgende Verhalten. Wobei, wie man hier sieht, die Unkalkulierbarkeit eines solchen Systems auch dazu führen kann, dass ein Regelverstoß, ein offenes Wort, wider Erwarten nicht sanktioniert werden.
Dabei sind die Bergmanns keineswegs Oppositionelle, sondern im Gegenteil mit der DDR grundsätzlich einverstanden, teilweise sogar sehr, sie sehen und betonen die Vorzüge des Sozialismus à la SED und versuchen dessen negative Seiten zu ertragen und sich, auch in menschlich und moralisch vertretbarer Weise, durchzuwurschteln. Womit diese Serie schon 1969-71 ein wohl sehr viel realistischeres Bild vom Denken und Verhalten der allermeisten DDR-Bürger zeichnete als Jahrzehnte später gewisse Fernsehproduktionen, die des dramatischen Konflikts wegen den Eindruck erweckten, als wäre die DDR nur von Betonköpfen und Dissidenten bevölkert gewesen.
(Siehe auch 27.1.)
Filme aus dem Archiv des RBB.
Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Retro Überblendung:
Im Westen: Arbeitslosigkeit, Drogensucht, alte und neue Nazis, Prostitution, perspektivlose Jugendliche, falscher Schein von Aufschwung und Wohlstand, dahinter krasse soziale Gegensätze und Elend.
Im Osten: Überwachung, Unterdrückung, fanatische Kommunisten, Verfall, bescheidene Lebensverhältnisse, allgegenwärtige Angst und ein finsteres System, aus dem man flüchten möchte.
Haben Ost und West während der deutschen Teilung diejeweils andere Seite am liebsten so in Film und Fernsehen gezeigt?
Die Retrospektive »Überblendung – Vergessene Bilder von Ost und West« möchte zur Beantwortung dieser Frage beitragen, indem sie viele Raritäten präsentiert. Darunter schwer zu beschaffende Fernsehproduktionen, die wohl zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder zu sehen sind wie die Filme »Aus dem Alltag in der DDR« und vier Folgen der Serie »Familie Bergmann«: Anfang der 70er Jahre sollten sie den Westdeutschen das Leben im ihnen fremdgewordenen Osten des Landes nahebringen.
Weitere Ausgrabungen sind der ZDF-Film »Das Haus« über ein Gebäude an der Berliner Mauer, die NDR-Produktion »Gerhard Langhammer und die Freiheit« über die Probleme eines Flüchtlings im Westen oder der DEFA-Streifen »Was wäre, wenn …?«: 1960 spielte er durch, was geschehen könnte, sollte ein DDR-Dorf plötzlich die Seite wechseln – mit »Die Dubrow-Krise« entstand 1968 ein ähnlicher Film im Westen.
Zu den Raritäten zählen auch »Mord im Märkischen Viertel« über einen Kriminalfall in West-Berlin und »Brandstellen«,
die DEFA-Adaption eines Romans von Franz Josef Degenhardt. Schon 1966 war mit »Irrlicht und Feuer« ein gesellschaftskritisches Buch eines westdeutschen Autors, hier Max von der Grün, für das DDR-Fernsehen adaptiert worden. Und auch die ARD hatte diesen Zweiteiler 1968 gesendet.
Auf einen selbstkritischen Blick auf die eigene Seite verzichteten auch viele Westfilme über den Osten nicht. Ob in »Postlagernd Turteltaube«, »Flucht nach Berlin« oder »Gedenktag« (über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953): Immer wieder lautete der Hauptvorwurf, die satten Westler interessiere der Osten nicht mehr.
Die Kritik, welche selbst diese Westfilme am Westen übten, verstärkte das Dilemma der Ostfilme: Eine differenzierte Darstellung der Zustände im Westen wie in »Zwischenfall in Benderath« war ohnehin eher die Ausnahme, oft wurde übertrieben und die Kritik an den Problemen entsprechend unscharf.
So wollte »Aktion J« nachweisen, dass Adenauers Kanzleramtsminister Hans Globke beim Holocaust eine gleich große Rolle gespielt hatte wie Adolf Eichmann. »Freispruch mangels Beweises«, die Verfilmung einer Münchner Affäre, wurde wenig später von der realen Entwicklung widerlegt. Gleiches war schon »Das verurteilte Dorf« widerfahren.
Da es unglaubwürdig gewesen wäre, verelendete Proletariermassen zu zeigen, widmeten sich die Ostfilme über den Westen gern den »besseren« Kreisen – und damit der Präsentation eines besonders schicken Ambientes und Lebensstils. Eine Produktion wie »Spielbankaffäre« wurde deshalb im Osten nur verstümmelt, in Schwarzweiß und im Bildformat 4:3 gezeigt. Und selbst ein Film, der von der Bundesrepublik so angewidert war wie »Der Hauptmann von Köln«, oder die Agentenserie »Das unsichtbare Visier« tappten in diese Falle.
Zu jeder der vierzig Produktionen gibt es eine fachkundige Einführung.