

Familie Bergmann – Folge 3: Wenn man jung ist | Folge 6: Beziehungen muß man haben | Retro Überblendung
27.1.23 | 20:30 Uhr
Folge 3: Wenn man jung ist
BRD 1970 – 44 Min. – Schwarzweiß – R: Thomas Engel – B: Traute Hellberg, Johannes Hendrich – K: Jürgen Stahf, Jupp Steiof – M: Wolfgang de Gelmini – D: Hans Elwenspoek, Lilo Hartmann, Eva Christian, Hans-Werner Bussinger, Christiane Domschke, Ronald Dehne, Reiner Ilgut, Heinz Spitzner
Folge 6: Beziehungen muß man haben
BRD 1970 – 44 Min. – Schwarzweiß – R: Thomas Engel – B: Traute Hellberg, Johannes Hendrich – K: Jürgen Stahf, Willi Kuhle, Jupp Steiof – M: Wolfgang de Gelmini – D: Hans Elwenspoek, Lilo Hartmann, Christiane Domschke, Ronald Dehne, Hans-Werner Bussinger, Dorothea Thiess, Reiner Ilgut, Gisela Fritsch
Im Laufe der sechziger Jahre, nach dem Bau der Berliner Mauer, konstatierte man im Westen eine zunehmende Entfremdung der Deutschen in Ost und West und fürchtete, durch die unterschiedlichen Lebensweisen und Lebenswelten könnte eine Wiedervereinigung noch unwahrscheinlicher werden, als sie mittlerweile ohnehin erschien. Die Sender der ARD und das ZDF schufen daher vermehrt Produktionen, die sich darum drehten, wie es „drüben“ eigentlich aussah, und wie „die da“ eigentlich leben: der Ostler, das unbekannte Wesen.
Zu den Werken, die dies auf unterhaltsame Weise vermitteln sollten, gehörte die Serie „Familie Bergmann“, von der von Ende 1969 bis 1971 neun Folgen gesendet wurden (siehe auch 21.1.).
Im Mittelpunkt der dritten Episode steht die jüngere Tochter der Potsdamer Familie, die „einfach kein Verhältnis“ zur „sozialistischen Wehrerziehung“ findet, also zum Kriegspielen, welches in der DDR natürlich einzig und allein dem Frieden dienen soll – weshalb es schon bei den Kindern gefördert wird. (Die Drehbuchautoren vergessen nicht, darauf hinzuweisen, dass leider im Westen genauso Kriegsspielzeug verkauft wird.) Auch ihr Freund hat Ärger, wenngleich weniger wegen der Ideologie als wegen der erwünschten Verhaltensweisen, und dies, obwohl er – wie seine Freundin – vom Sozialismus und der DDR überzeugt ist. Doch weil er nicht die üblichen „weltanschaulichen“ Floskeln herunterbeten mag, kann er womöglich nicht wie erhofft an der Filmhochschule Kamera studieren.
Die Episode greift damit ein zentrales Merkmal des SED-Staates auf: Wer die immer wieder beschworenen hehren Werte des Sozialismus ernstnahm, geriet ganz schnell in Konflikt mit dem System, das in Wahrheit nicht Ehrlichkeit, sondern Gehorsam verlangte und Befolgung der dogmatisch verkündeten und verteidigten Glaubensgrundsätze. Insbesondere eigenständiges Denken (auch und gerade Nachdenken über den Sozialismus) war als „Individualismus“ verpönt (dem Lieblingsfeindbild jeder totalitären Ideologie) und konnte auch aufrechte Sozialisten schnell in Konflikt mit diesem sozialistischen Staat bringen.
Zu den Dingen, die in der Serie fast unmerklich über die Verhältnisse in der DDR vermittelt werden, gehört, dass es dort damals – anders als im Westen – bereits selbstverständlich war, dass Mädchen eine Berufsausbildung erhalten, womöglich gar studieren, und dann auch ihr eigenes Geld verdienen.
Die sechste Folge der Serie widmet sich wiederum vor allem den allgegenwärtigen Versorgungsproblemen: Wie kommt man zu einer Waschmaschine, zumal einer guten, von denen die meisten in den Export in die kapitalistischen Länder gehen? Und welche Gefahren können lauern, wenn man auf „Beziehungen“ setzt? Wie schon beim Autokauf in der ersten Folge spielt dabei Geld praktisch keine Rolle, obwohl die Preise für solche Konsumgüter ungleich höher sind als im Westen:
Den Bergmanns, die ja als DDR-Durchschnittsbürger präsentiert werden, geht es in dieser Hinsicht gut.
Daneben hat die jüngere Tochter Sorgen, weil sie feststellt, dass sie schwanger ist. Doch dies ist, so zeigt es die Serie, in der DDR für eine unverheiratete Frau kein Problem mehr und schon gar keine Schande, auch nicht, wenn sie noch zur Schule geht.
Filme aus dem Archiv des RBB.
Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Retro Überblendung:
Im Westen: Arbeitslosigkeit, Drogensucht, alte und neue Nazis, Prostitution, perspektivlose Jugendliche, falscher Schein von Aufschwung und Wohlstand, dahinter krasse soziale Gegensätze und Elend.
Im Osten: Überwachung, Unterdrückung, fanatische Kommunisten, Verfall, bescheidene Lebensverhältnisse, allgegenwärtige Angst und ein finsteres System, aus dem man flüchten möchte.
Haben Ost und West während der deutschen Teilung diejeweils andere Seite am liebsten so in Film und Fernsehen gezeigt?
Die Retrospektive »Überblendung – Vergessene Bilder von Ost und West« möchte zur Beantwortung dieser Frage beitragen, indem sie viele Raritäten präsentiert. Darunter schwer zu beschaffende Fernsehproduktionen, die wohl zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder zu sehen sind wie die Filme »Aus dem Alltag in der DDR« und vier Folgen der Serie »Familie Bergmann«: Anfang der 70er Jahre sollten sie den Westdeutschen das Leben im ihnen fremdgewordenen Osten des Landes nahebringen.
Weitere Ausgrabungen sind der ZDF-Film »Das Haus« über ein Gebäude an der Berliner Mauer, die NDR-Produktion »Gerhard Langhammer und die Freiheit« über die Probleme eines Flüchtlings im Westen oder der DEFA-Streifen »Was wäre, wenn …?«: 1960 spielte er durch, was geschehen könnte, sollte ein DDR-Dorf plötzlich die Seite wechseln – mit »Die Dubrow-Krise« entstand 1968 ein ähnlicher Film im Westen.
Zu den Raritäten zählen auch »Mord im Märkischen Viertel« über einen Kriminalfall in West-Berlin und »Brandstellen«,
die DEFA-Adaption eines Romans von Franz Josef Degenhardt. Schon 1966 war mit »Irrlicht und Feuer« ein gesellschaftskritisches Buch eines westdeutschen Autors, hier Max von der Grün, für das DDR-Fernsehen adaptiert worden. Und auch die ARD hatte diesen Zweiteiler 1968 gesendet.
Auf einen selbstkritischen Blick auf die eigene Seite verzichteten auch viele Westfilme über den Osten nicht. Ob in »Postlagernd Turteltaube«, »Flucht nach Berlin« oder »Gedenktag« (über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953): Immer wieder lautete der Hauptvorwurf, die satten Westler interessiere der Osten nicht mehr.
Die Kritik, welche selbst diese Westfilme am Westen übten, verstärkte das Dilemma der Ostfilme: Eine differenzierte Darstellung der Zustände im Westen wie in »Zwischenfall in Benderath« war ohnehin eher die Ausnahme, oft wurde übertrieben und die Kritik an den Problemen entsprechend unscharf.
So wollte »Aktion J« nachweisen, dass Adenauers Kanzleramtsminister Hans Globke beim Holocaust eine gleich große Rolle gespielt hatte wie Adolf Eichmann. »Freispruch mangels Beweises«, die Verfilmung einer Münchner Affäre, wurde wenig später von der realen Entwicklung widerlegt. Gleiches war schon »Das verurteilte Dorf« widerfahren.
Da es unglaubwürdig gewesen wäre, verelendete Proletariermassen zu zeigen, widmeten sich die Ostfilme über den Westen gern den »besseren« Kreisen – und damit der Präsentation eines besonders schicken Ambientes und Lebensstils. Eine Produktion wie »Spielbankaffäre« wurde deshalb im Osten nur verstümmelt, in Schwarzweiß und im Bildformat 4:3 gezeigt. Und selbst ein Film, der von der Bundesrepublik so angewidert war wie »Der Hauptmann von Köln«, oder die Agentenserie »Das unsichtbare Visier« tappten in diese Falle.
Zu jeder der vierzig Produktionen gibt es eine fachkundige Einführung.