

Familie Benthin | Retro Überblendung
13.1.23 | 18 Uhr
DDR 1950 – 97 Min. – Schwarzweiß – R: Kurt Maetzig, Slatan Dudow – B: Johannes R. Becher, Slatan Dudow, Kuba (d.i. Kurt Barthel), Ehm Welk – K: Robert Baberske, Karl Plintzner, Walter Roßkopf – M: Ernst Roters, Werner Neumann – D: Maly Delschaft, Charlotte Ander, Hans-Georg Rudolph, Werner Pledath, Josef Peter Dornseif, Brigitte Conrad, Harry Hindemith, Ottokar Runze
Mit Johannes R. Becher, Slatan Dudow, Kuba alias Kurt Barthel und Ehm Welk zeichneten gleich vier prominente Autoren für das Drehbuch zu diesem Film verantwortlich. War er doch auch kurz nach der Gründung der DDR als Prestigeprojekt von der SED in Auftrag gegeben worden, um am Beispiel zweier Familiengeschichten zu zeigen, wie sich im frühen Nachkriegsdeutschland die Verhältnisse in Ost und West entwickelt hatten.
Dudow freilich hatte die Regie, nachdem Wolfgang Staudte bereits abgesagt hatte, nur widerwillig übernommen. Kurt Maetzig und schließlich auch Richard Groschopp sprangen ihm im Laufe der Dreharbeiten zur Seite, wobei nur letzterer es vermeiden konnte, am Ende als Regisseur auch genannt zu werden.
Später als Beispiel für allzu holzschnittartige Gut-Böse-Zeichnung und besonders plumpe Propaganda abgetan und kaum mehr gezeigt, präsentierte der Film gleichwohl Argumentations- und Handlungsmuster, die bei der DEFA bis weit in den sechziger Jahre hinein gern bemüht wurden, wenn man die deutsche Teilung thematisierte: Im Westen, wo Not und Verbrechen herrschen, versucht man den Osten auszuplündern und auf dessen Kosten zu leben, obwohl man ihm andererseits gemeinerweise nicht alles verkauft, was er haben will. Nichtsdestoweniger blüht der Sozialismus gesetzmäßig auf, weshalb am Ende des Films klar ist, wo die strahlende Zukunft liegt, und auch Missetäter bekehrt werden oder in die Irre (also den Westen) Gelaufene reumütig zurückkehren.
Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Retro Überblendung:
Im Westen: Arbeitslosigkeit, Drogensucht, alte und neue Nazis, Prostitution, perspektivlose Jugendliche, falscher Schein von Aufschwung und Wohlstand, dahinter krasse soziale Gegensätze und Elend.
Im Osten: Überwachung, Unterdrückung, fanatische Kommunisten, Verfall, bescheidene Lebensverhältnisse, allgegenwärtige Angst und ein finsteres System, aus dem man flüchten möchte.
Haben Ost und West während der deutschen Teilung diejeweils andere Seite am liebsten so in Film und Fernsehen gezeigt?
Die Retrospektive »Überblendung – Vergessene Bilder von Ost und West« möchte zur Beantwortung dieser Frage beitragen, indem sie viele Raritäten präsentiert. Darunter schwer zu beschaffende Fernsehproduktionen, die wohl zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder zu sehen sind wie die Filme »Aus dem Alltag in der DDR« und vier Folgen der Serie »Familie Bergmann«: Anfang der 70er Jahre sollten sie den Westdeutschen das Leben im ihnen fremdgewordenen Osten des Landes nahebringen.
Weitere Ausgrabungen sind der ZDF-Film »Das Haus« über ein Gebäude an der Berliner Mauer, die NDR-Produktion »Gerhard Langhammer und die Freiheit« über die Probleme eines Flüchtlings im Westen oder der DEFA-Streifen »Was wäre, wenn …?«: 1960 spielte er durch, was geschehen könnte, sollte ein DDR-Dorf plötzlich die Seite wechseln – mit »Die Dubrow-Krise« entstand 1968 ein ähnlicher Film im Westen.
Zu den Raritäten zählen auch »Mord im Märkischen Viertel« über einen Kriminalfall in West-Berlin und »Brandstellen«,
die DEFA-Adaption eines Romans von Franz Josef Degenhardt. Schon 1966 war mit »Irrlicht und Feuer« ein gesellschaftskritisches Buch eines westdeutschen Autors, hier Max von der Grün, für das DDR-Fernsehen adaptiert worden. Und auch die ARD hatte diesen Zweiteiler 1968 gesendet.
Auf einen selbstkritischen Blick auf die eigene Seite verzichteten auch viele Westfilme über den Osten nicht. Ob in »Postlagernd Turteltaube«, »Flucht nach Berlin« oder »Gedenktag« (über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953): Immer wieder lautete der Hauptvorwurf, die satten Westler interessiere der Osten nicht mehr.
Die Kritik, welche selbst diese Westfilme am Westen übten, verstärkte das Dilemma der Ostfilme: Eine differenzierte Darstellung der Zustände im Westen wie in »Zwischenfall in Benderath« war ohnehin eher die Ausnahme, oft wurde übertrieben und die Kritik an den Problemen entsprechend unscharf.
So wollte »Aktion J« nachweisen, dass Adenauers Kanzleramtsminister Hans Globke beim Holocaust eine gleich große Rolle gespielt hatte wie Adolf Eichmann. »Freispruch mangels Beweises«, die Verfilmung einer Münchner Affäre, wurde wenig später von der realen Entwicklung widerlegt. Gleiches war schon »Das verurteilte Dorf« widerfahren.
Da es unglaubwürdig gewesen wäre, verelendete Proletariermassen zu zeigen, widmeten sich die Ostfilme über den Westen gern den »besseren« Kreisen – und damit der Präsentation eines besonders schicken Ambientes und Lebensstils. Eine Produktion wie »Spielbankaffäre« wurde deshalb im Osten nur verstümmelt, in Schwarzweiß und im Bildformat 4:3 gezeigt. Und selbst ein Film, der von der Bundesrepublik so angewidert war wie »Der Hauptmann von Köln«, oder die Agentenserie »Das unsichtbare Visier« tappten in diese Falle.
Zu jeder der vierzig Produktionen gibt es eine fachkundige Einführung.