

Durchbruch Lok 234 | Retro Überblendung
18.1.23 | 20:30 Uhr
BRD 1963 – 88 Min. – Schwarzweiß – R: Frank Wisbar – B: Gerhard T. Buchholz – K: Bernd Meister – M: Peter Laurin – D: Erik Schumann, Maria Körber, Helmut Oeser, Hans Paetsen, Herbert Fleischmann, Joseph Offenbach
Am 5. Dezember 1961, wenige Monate nach dem Mauerbau, durchbrach zwischen Albrechtshof und Spandau ein Nahverkehrszug aus der DDR die Grenze nach West-Berlin (West-Staaken gehörte damals zur DDR). Wenig später schrieb Gerhard T. Buchholz (siehe „Postlagernd: Turteltaube“ am 14.1.), der auch als Coproduzent fungierte, das Drehbuch für einen Film über diese spektakuläre Flucht zweier Eisenbahner mit ihren Familien und Freunden. Diese wird hier vor allem dadurch motiviert, dass die Eltern ihren Kindern jene Indoktrination und Brutalisierung durch eine totalitäre Ideologie ersparen wollen, die sie selbst in der NS-Zeit erlebt haben.
Der Schauplatz DDR wird wie üblich durch einige Spruchbänder signalisiert. Viel ist in dem vornehmlich bei Dunkelheit spielenden Schwarzweißfilm von Städten und Landschaft jedoch nicht zu sehen, und selbst die Angst vor Spitzeln spielt keine allzu große Rolle. Unter der Regie Frank Wisbars, der seit seiner Rückkehr aus dem US-Exil vor allem durch Kriegsdramen wie „Haie und kleine Fische“ oder „Nacht fiel über Gotenhafen“ aufgefallen war, ging es vor allem darum, die Geschichte möglichst spannend zu erzählen. Diese kann nicht nur deshalb schlecht als Propaganda abgetan werden, weil zum authentischen Geschehen wenig hinzufügt wurde: Entgegen der Behauptung, der Westen habe bis zum Mauerbau generalstabsmäßig das „Ausbluten“ der DDR geplant (auf das manche unzweifelhaft spekuliert haben), werden hier auch Ostler gezeigt, die nicht in den Westen wollen, obwohl sie keine Kommunisten sind.
Ein Film aus dem Bundesarchiv-Filmarchiv.
Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Retro Überblendung:
Im Westen: Arbeitslosigkeit, Drogensucht, alte und neue Nazis, Prostitution, perspektivlose Jugendliche, falscher Schein von Aufschwung und Wohlstand, dahinter krasse soziale Gegensätze und Elend.
Im Osten: Überwachung, Unterdrückung, fanatische Kommunisten, Verfall, bescheidene Lebensverhältnisse, allgegenwärtige Angst und ein finsteres System, aus dem man flüchten möchte.
Haben Ost und West während der deutschen Teilung diejeweils andere Seite am liebsten so in Film und Fernsehen gezeigt?
Die Retrospektive »Überblendung – Vergessene Bilder von Ost und West« möchte zur Beantwortung dieser Frage beitragen, indem sie viele Raritäten präsentiert. Darunter schwer zu beschaffende Fernsehproduktionen, die wohl zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder zu sehen sind wie die Filme »Aus dem Alltag in der DDR« und vier Folgen der Serie »Familie Bergmann«: Anfang der 70er Jahre sollten sie den Westdeutschen das Leben im ihnen fremdgewordenen Osten des Landes nahebringen.
Weitere Ausgrabungen sind der ZDF-Film »Das Haus« über ein Gebäude an der Berliner Mauer, die NDR-Produktion »Gerhard Langhammer und die Freiheit« über die Probleme eines Flüchtlings im Westen oder der DEFA-Streifen »Was wäre, wenn …?«: 1960 spielte er durch, was geschehen könnte, sollte ein DDR-Dorf plötzlich die Seite wechseln – mit »Die Dubrow-Krise« entstand 1968 ein ähnlicher Film im Westen.
Zu den Raritäten zählen auch »Mord im Märkischen Viertel« über einen Kriminalfall in West-Berlin und »Brandstellen«,
die DEFA-Adaption eines Romans von Franz Josef Degenhardt. Schon 1966 war mit »Irrlicht und Feuer« ein gesellschaftskritisches Buch eines westdeutschen Autors, hier Max von der Grün, für das DDR-Fernsehen adaptiert worden. Und auch die ARD hatte diesen Zweiteiler 1968 gesendet.
Auf einen selbstkritischen Blick auf die eigene Seite verzichteten auch viele Westfilme über den Osten nicht. Ob in »Postlagernd Turteltaube«, »Flucht nach Berlin« oder »Gedenktag« (über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953): Immer wieder lautete der Hauptvorwurf, die satten Westler interessiere der Osten nicht mehr.
Die Kritik, welche selbst diese Westfilme am Westen übten, verstärkte das Dilemma der Ostfilme: Eine differenzierte Darstellung der Zustände im Westen wie in »Zwischenfall in Benderath« war ohnehin eher die Ausnahme, oft wurde übertrieben und die Kritik an den Problemen entsprechend unscharf.
So wollte »Aktion J« nachweisen, dass Adenauers Kanzleramtsminister Hans Globke beim Holocaust eine gleich große Rolle gespielt hatte wie Adolf Eichmann. »Freispruch mangels Beweises«, die Verfilmung einer Münchner Affäre, wurde wenig später von der realen Entwicklung widerlegt. Gleiches war schon »Das verurteilte Dorf« widerfahren.
Da es unglaubwürdig gewesen wäre, verelendete Proletariermassen zu zeigen, widmeten sich die Ostfilme über den Westen gern den »besseren« Kreisen – und damit der Präsentation eines besonders schicken Ambientes und Lebensstils. Eine Produktion wie »Spielbankaffäre« wurde deshalb im Osten nur verstümmelt, in Schwarzweiß und im Bildformat 4:3 gezeigt. Und selbst ein Film, der von der Bundesrepublik so angewidert war wie »Der Hauptmann von Köln«, oder die Agentenserie »Das unsichtbare Visier« tappten in diese Falle.
Zu jeder der vierzig Produktionen gibt es eine fachkundige Einführung.