

Die Dubrow-Krise | Retro Überblendung
29.1.23 | 18 Uhr
BRD 1968/69 – 97 Min. – Schwarzweiß – R: Eberhard Itzenplitz – B: Wolfgang Menge – K: Leander Loosen – D: Thomas Fabian, Rudolf Beiswanger, Joachim Wichmann, Gustav Burmester, Hans-Rolf Radula, Traugott Buhre
Wolfgang Menge, zu jener Zeit bereits einer der prominentesten Drehbuchautoren des deutschen Fernsehens, und der Regisseur Eberhard Itzenplitz hatten schon mit „Begründung eines Urteils“ einen ausgezeichneten Film zum Thema der deutschen Teilung geschaffen, als „Die Dubrow-Krise“ entstand.
Wegen eines Vermessungsfehlers findet sich das titelgebende kleine DDR-Dorf mit einem Mal auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs wieder. Was daraufhin dort geschieht, nimmt in vieler Hinsicht erstaunlich exakt Ereignisse voraus, die sich gut zwanzig Jahre später nach dem Zusammenbruch der SED-Diktatur abspielen sollten. Nicht falsch, wenngleich für den Westen unbequem, ist auch die Darstellung, dass die dortigen Verantwortlichen das Thema Wiedervereinigung inzwischen als eher lästig, wenn nicht sogar gefährlich, betrachteten und mehr an der Bewahrung des Status quo (bzw. im Falle Dubrow der Wiederherstellung des früheren Zustandes) interessiert waren.
Wie kurz darauf bei „Das Millionenspiel“ oder bei „Smog“ vermischte Menge schon hier (pseudo-) dokumentarische Elemente mit einer Spielhandlung und gab dem ganzen den Rahmen einer vorgeblichen aktuellen Fernsehsendung. Dies sollte die Zuschauer nicht oder zumindest nicht nur verwirren, sondern im Gegenteil durch den Bruch der Filmillusion Distanz schaffen und zum Nachdenken anregen – ein medienpädagogisches Ziel, das nicht immer erreicht wurde.
Bereits 1960 war mit „Was wäre, wenn …?“ in der DDR ein Film mit ähnlicher Thematik entstanden (siehe 16.1.).
Ein Film aus dem Archiv des Westdeutschen Rundfunks Köln.
Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Retro Überblendung:
Im Westen: Arbeitslosigkeit, Drogensucht, alte und neue Nazis, Prostitution, perspektivlose Jugendliche, falscher Schein von Aufschwung und Wohlstand, dahinter krasse soziale Gegensätze und Elend.
Im Osten: Überwachung, Unterdrückung, fanatische Kommunisten, Verfall, bescheidene Lebensverhältnisse, allgegenwärtige Angst und ein finsteres System, aus dem man flüchten möchte.
Haben Ost und West während der deutschen Teilung diejeweils andere Seite am liebsten so in Film und Fernsehen gezeigt?
Die Retrospektive »Überblendung – Vergessene Bilder von Ost und West« möchte zur Beantwortung dieser Frage beitragen, indem sie viele Raritäten präsentiert. Darunter schwer zu beschaffende Fernsehproduktionen, die wohl zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder zu sehen sind wie die Filme »Aus dem Alltag in der DDR« und vier Folgen der Serie »Familie Bergmann«: Anfang der 70er Jahre sollten sie den Westdeutschen das Leben im ihnen fremdgewordenen Osten des Landes nahebringen.
Weitere Ausgrabungen sind der ZDF-Film »Das Haus« über ein Gebäude an der Berliner Mauer, die NDR-Produktion »Gerhard Langhammer und die Freiheit« über die Probleme eines Flüchtlings im Westen oder der DEFA-Streifen »Was wäre, wenn …?«: 1960 spielte er durch, was geschehen könnte, sollte ein DDR-Dorf plötzlich die Seite wechseln – mit »Die Dubrow-Krise« entstand 1968 ein ähnlicher Film im Westen.
Zu den Raritäten zählen auch »Mord im Märkischen Viertel« über einen Kriminalfall in West-Berlin und »Brandstellen«,
die DEFA-Adaption eines Romans von Franz Josef Degenhardt. Schon 1966 war mit »Irrlicht und Feuer« ein gesellschaftskritisches Buch eines westdeutschen Autors, hier Max von der Grün, für das DDR-Fernsehen adaptiert worden. Und auch die ARD hatte diesen Zweiteiler 1968 gesendet.
Auf einen selbstkritischen Blick auf die eigene Seite verzichteten auch viele Westfilme über den Osten nicht. Ob in »Postlagernd Turteltaube«, »Flucht nach Berlin« oder »Gedenktag« (über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953): Immer wieder lautete der Hauptvorwurf, die satten Westler interessiere der Osten nicht mehr.
Die Kritik, welche selbst diese Westfilme am Westen übten, verstärkte das Dilemma der Ostfilme: Eine differenzierte Darstellung der Zustände im Westen wie in »Zwischenfall in Benderath« war ohnehin eher die Ausnahme, oft wurde übertrieben und die Kritik an den Problemen entsprechend unscharf.
So wollte »Aktion J« nachweisen, dass Adenauers Kanzleramtsminister Hans Globke beim Holocaust eine gleich große Rolle gespielt hatte wie Adolf Eichmann. »Freispruch mangels Beweises«, die Verfilmung einer Münchner Affäre, wurde wenig später von der realen Entwicklung widerlegt. Gleiches war schon »Das verurteilte Dorf« widerfahren.
Da es unglaubwürdig gewesen wäre, verelendete Proletariermassen zu zeigen, widmeten sich die Ostfilme über den Westen gern den »besseren« Kreisen – und damit der Präsentation eines besonders schicken Ambientes und Lebensstils. Eine Produktion wie »Spielbankaffäre« wurde deshalb im Osten nur verstümmelt, in Schwarzweiß und im Bildformat 4:3 gezeigt. Und selbst ein Film, der von der Bundesrepublik so angewidert war wie »Der Hauptmann von Köln«, oder die Agentenserie »Das unsichtbare Visier« tappten in diese Falle.
Zu jeder der vierzig Produktionen gibt es eine fachkundige Einführung.