Der Fackel­trä­ger | Retro Über­blen­dung

18.1.23 | 18 Uhr

DDR 1955 – 82 Min. – Schwarz­weiß – R: Johan­nes Knit­tel – B: Fried­rich Hart­mann (d.i. Fried­rich Karl Kaul), Wal­ter Jupé – K: Gün­ter Eisin­ger – M: Gott­fried Mad­jera – D: Her­mann Kiessner, Loni Miche­lis, Fried­rich Gnass, Har­ry Hin­de­mith, Horst Kube, Ruth Maria Kubit­schek, Georg Thies, Mar­gret Homey­er, Nor­bert Chris­ti­an, Char­lot­te Brum­mer­hoff

In den fünf­zi­ger Jah­ren ent­wi­ckel­ten die Sta­si und ihre Vor­gän­ger eini­ge Rou­ti­ne dar­in, ihnen miss­lie­bi­ge Per­so­nen aus West-Berlin in den Osten zu locken oder auch gewalt­sam dort­hin zu ent­füh­ren, um ihnen dann – mal groß auf­ge­zo­gen, mal im Gehei­men – den Pro­zess zu machen. In die­sem Kli­ma ent­stand bei der DEFA mit „Der Fackel­trä­ger“ eine bemer­kens­wer­te Form der Offen­siv­ver­tei­di­gung: In satiri­scher Form soll­ten die west­li­chen Kla­gen über die­se Vor­gän­ge lächer­lich gemacht wer­den, indem man zeig­te, wie ein ambi­tio­nier­ter West-Berliner Staats­an­walt einen harm­lo­sen Vor­gang zu einem neu­er­li­chen Fall von öst­li­chem „Men­schen­raub“ auf­zu­bau­schen ver­sucht.

Der fer­ti­ge Film wur­de fast zwei Jah­re lang zurück­ge­hal­ten und dann nur ganz geräusch­los in die Kinos gebracht; im Ost­teil Ber­lins und dem nahen Umland der Stadt war er über­haupt nicht zu sehen. Als Grün­de genannt wer­den heu­te Beden­ken hin­sicht­lich der Qua­li­tät des Strei­fens, der rasch in Ver­ges­sen­heit geriet, sowie Rück­sichtnahmen auf die Tages­po­li­tik. Womög­lich spiel­te aber auch eine Rol­le, wie offen hier (wenn­gleich durch die „Bösen“) Din­ge aus­ge­spro­chen und benannt wer­den, die in der DDR eigent­lich tabu waren.

Ver­steck­te Oppo­si­ti­on ist dahin­ter nicht zu ver­mu­ten, eher all­zu gro­ße Selbstgefällig­keit: Einer der bei­den Dreh­buch­au­to­ren war Fried­rich Karl Kaul, der wohl prominen­teste Anwalt der DDR, ein lini­en­treu­er Jurist, der der SED her­vor­ra­gen­de Diens­te auch dadurch leis­te­te, dass er auch an west­li­chen Gerich­ten zuge­las­sen war. Mit der Film­fi­gur des wacke­ren Anwalts Dr. Hart­mann hat Kaul (der „Hart­mann“ auch als Pseud­onym wähl­te) qua­si ein Selbst­por­trait geschaf­fen, mit dem Ober­staats­an­walt Sän­ger sei­nen dama­li­gen West-Berliner Geg­ner Can­tor kari­kiert. Der Miss­erfolg des Films, der mit bemer­kens­wert vie­len Schau­spie­lern besetzt war, die in West-Berlin leb­ten oder spä­ter in den Wes­ten gin­gen, scha­de­te Kaul nicht: Mit sei­nem Co-Dreh­buchautoren Wal­ter Jupé setz­te er sei­ne Tätig­keit als Film­schaf­fen­der beim Fern­sehen lang und umfang­reich fort.

 

Geför­dert mit Mit­teln der Bun­des­stif­tung zur Auf­ar­bei­tung der SED-Diktatur.

 

Retro Über­blen­dung:
Im Wes­ten: Arbeits­lo­sig­keit, Dro­gen­sucht, alte und neue ­Nazis, Pro­sti­tu­ti­on, per­spek­tiv­lo­se Jugend­li­che, fal­scher Schein von Auf­schwung und Wohl­stand, dahin­ter kras­se ­sozia­le Gegen­sätze und Elend.
Im Osten: Über­wa­chung, Unter­drü­ckung, fana­ti­sche ­Kom­mu­nis­ten, Ver­fall, beschei­de­ne Lebens­verhältnisse, all­gegenwärtige Angst und ein fin­ste­­res Sys­tem, aus dem man flüch­ten möch­te.
Haben Ost und West wäh­rend der deut­schen Tei­lung die­je­weils ande­re Sei­te am liebs­ten so in Film und Fern­se­hen ­gezeigt?
Die Retro­spek­ti­ve »Über­blen­dung – Ver­ges­se­ne Bil­der von Ost und West« möch­te zur Beant­wor­tung die­ser Fra­ge bei­tragen, indem sie vie­le Rari­tä­ten prä­sen­tiert. Dar­un­ter schwer zu ­beschaf­fen­de Fern­seh­pro­duk­tio­nen, die wohl zum ers­ten Mal seit Jahr­zehn­ten wie­der zu sehen sind wie die ­Fil­me »Aus dem All­tag in der DDR« und vier Fol­gen der Serie »Fami­lie Berg­mann«: Anfang der 70er Jah­re soll­ten sie den West­deut­schen das ­Leben im ihnen fremd­ge­wor­de­nen Osten des Lan­des nahe­bringen.
Wei­te­re Aus­gra­bun­gen sind der ZDF-Film »Das Haus« über ein Gebäu­de an der Ber­li­ner Mau­er, die NDR-Produktion »Ger­hard Lang­ham­mer und die Frei­heit« über die Pro­ble­me eines Flücht­lings im Wes­ten oder der DEFA-Streifen »Was wäre, wenn …?«: 1960 spiel­te er durch, was gesche­hen könn­te, soll­te ein ­DDR-Dorf plötz­lich die Sei­te wech­seln – mit »Die Dubrow-­Krise« ent­stand 1968 ein ähn­li­cher Film im Wes­ten.
Zu den Rari­tä­ten zäh­len auch »Mord im Mär­ki­schen Vier­tel« über einen Kri­mi­nal­fall in West-Berlin und »Brand­stel­len«,
die DEFA-Adaption eines Romans von Franz Josef Degen­hardt. Schon 1966 war mit »Irr­licht und Feu­er« ein gesellschafts­kritisches Buch eines west­deut­schen Autors, hier Max von der Grün, für das DDR-Fernsehen adap­tiert wor­den. Und auch die ARD hat­te die­sen Zwei­tei­ler 1968 gesen­det.
Auf einen selbst­kri­ti­schen Blick auf die eige­ne Sei­te ver­zich­te­ten auch vie­le West­fil­me über den Osten nicht. Ob in ­»Post­la­gernd Tur­tel­tau­be«, »Flucht nach Ber­lin« oder »Gedenk­tag« (über den Volks­auf­stand vom 17. Juni 1953): Immer wie­der lau­te­te der Haupt­vor­wurf, die sat­ten West­ler inter­es­sie­re der Osten nicht mehr.
Die Kri­tik, wel­che selbst die­se West­fil­me am Wes­ten übten, ver­stärk­te das Dilem­ma der Ost­fil­me: Eine dif­fe­ren­zier­te Dar­stel­lung der Zustän­de im Wes­ten wie in »Zwi­schen­fall in Ben­de­rath« war ohne­hin eher die Aus­nah­me, oft wur­de über­trie­ben und die Kri­tik an den Pro­ble­men ent­spre­chend unscharf.
So woll­te »Akti­on J« nach­wei­sen, dass Ade­nau­ers Kanz­ler­amts­mi­nis­ter Hans Glob­ke beim Holo­caust eine gleich gro­ße Rol­le gespielt hat­te wie Adolf Eich­mann. »Frei­spruch man­gels ­Bewei­ses«, die Ver­fil­mung einer Münch­ner Affä­re, wur­de ­wenig spä­ter von der rea­len Ent­wick­lung wider­legt. Glei­ches war schon »Das ver­ur­teil­te Dorf« wider­fah­ren.
Da es unglaub­wür­dig gewe­sen wäre, ver­elen­de­te Pro­le­ta­rier­mas­sen zu zei­gen, wid­me­ten sich die Ost­fil­me über den Wes­ten gern den »bes­se­ren« Krei­sen – und damit der Prä­sen­ta­ti­on ­eines beson­ders schi­cken Ambi­en­tes und Lebens­stils. Eine ­Pro­duk­ti­on wie »Spiel­bank­af­fä­re« wur­de des­halb im Osten nur ver­stüm­melt, in Schwarz­weiß und im Bild­for­mat 4:3 ­gezeigt. Und selbst ein Film, der von der Bun­des­re­pu­blik so ange­wi­dert war wie »Der Haupt­mann von Köln«, oder die Agen­ten­se­rie »Das unsicht­ba­re Visier« tapp­ten in die­se Fal­le.
Zu jeder der vier­zig Pro­duk­tio­nen gibt es eine fach­kun­di­ge Ein­füh­rung.

Datum

Mi 18. Januar 2023
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Uhrzeit

18:00

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Ort

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