

Das Haus | Retro Überblendung
13.1.23 | 20:30 Uhr + 20.1.23 | 18 Uhr
BRD 1965 – 80 Min. – Schwarzweiß – R: Rainer Wolffhardt – B: Gerd Oelschlegel nach einer Idee von Horst Günter Flick – K: Klaus König – D: Wolfgang Engels, Charlotte Schellenberg, Heidi Fischer, Frank Nossack, Karl-Ludwig Lindt, Hilde Westermann
Vorfilm am 13. Januar: Ein-Blick
BRD 1986/87 – 10 Min. – Farbe – R+B: Gerd Conradt – K: Carlos Bustamante – M: Frederic Rzewski
Zu Gast: Gerd Conradt
Der Leipziger Gerd Oelschlegel (1926-98) war nach politischer Verfolgung aus der DDR in die Bundesrepublik geflüchtet. Dort entwickelte er sich in den fünfziger und sechziger Jahren zu einem vielbeschäftigten und vielfach ausgezeichneten Autor von Hör- und schließlich auch Fernsehspielen über die deutsche Teilung. „Das Haus“, vom ZDF erstgesendet am 16. Juni 1965, steht dementsprechend hier als nur ein Beispiel seines Schaffens: In die fröhliche Verlobungsfeier in einer Ost-Berliner Villa unweit der Mauer platzt erst ein Besucher aus dem Westen, dann – viel schwerwiegender – die Erkenntnis, dass einer der beiden jungen Männer, die gerade einen Fluchtversuch unternommen haben, ein Hausbewohner war, der sich nun, verwundet und natürlich gesucht, wieder in sein Zimmer gerettet hat. Die Frage, ob man ihn ausliefern soll, sorgt für hitzige Diskussionen und Aktionen, und natürlich zeigen alle Beteiligten im Laufe des Abends ihr wahres Gesicht. Überraschend ist dabei – in Kenntnis derartiger Produktionen – nicht, dass der Westler als eher feige und vor allem auf sein eigenes Wohlergehen bedacht erscheint, sondern wer am Ende die moralisch integerste Figur ist.
Nichtsdestoweniger bezeichnete Ernst Johann in der „Frankfurter Allgemeinen“ vom 21. Juni 1965 Produktionen wie diese bereits als Pflichtübungen der Sender, von denen er gelangweilt bis genervt war: „An Feiertagen macht sich die Gebrauchsliteratur breit (…). Und so wird denn auch in diesem Sinne der 17. Juni unentwegt mit literarischen Fleißarbeiten gefeiert. Der gute Wille der Fernsehanstalten ist damit dokumentiert, ein Blick auf die Produktionskosten gebietet alle Achtung, und das übrige bleibt, wie jede Auftragsarbeit, Glückssache … (…) Das Weihnachtsunbehagen ist auf dem besten Wege, auch eine Einrichtung zum 17. Juni zu werden.“
Dagegen zeigte sich Wolfgang Paul im „Tagesspiegel“ vom 19. Juni 1965 „stark beeindruckt“: „Oelschlegel hat harte, treffende Dialoge geschrieben, die Handlung ist gut konstruiert, man wird gepackt.“
In „Ein-Blick“ beobachtete der Dokumentarfilmer Gerd Conradt 1986 einen halben Tag lang ohne verbalen Kommentar und mit einem Filmbild pro Sekunde aus einem West-Berliner Haus an der Heidelberger Straße, was sich in, vor und rund um zwei Ost-Berliner Häusern auf der anderen Straßenseite abspielte, die direkt an den Todesstreifen grenzten: Nicht nur Alltag, sondern auch neugieriges Treiben von Hausbewohnern, die ebenso wie Grenzsoldaten bemerkt hatten, dass sie gefilmt wurden.
Allein schon sich mit der deutschen Teilung zu befassen – und dies dann auch noch in ihrer sichtbarsten Form: der Berliner Mauer –, galt seinerzeit im Westen in linken bis hinein in liberale Kreise gemeinhin als unschicklich bis unerwünscht, wenn nicht sogar als verdächtig: Zu offenkundig hatten die erklärten Gegner der DDR recht, wenn sie die Notwendigkeit, die eigenen Bürger gewaltsam am Weglaufen zu hindern, als Offenbarungseid des SED-Systems bezeichneten. Da man dies nicht eingestehen wollte, schwieg man lieber betreten, so man sich nicht in Ausreden flüchtete. Dass ein ausgewiesener Linker wie der 1941 geborene Conradt einen solchen Film mit einem Blick nach und Bild von „drüben“ drehte, war dementsprechend eher ungewöhnlich und liegt wohl auch in seiner Biographie begründet: Als Jugendlicher war er aus Thüringen nach West-Berlin gegangen.
Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Retro Überblendung:
Im Westen: Arbeitslosigkeit, Drogensucht, alte und neue Nazis, Prostitution, perspektivlose Jugendliche, falscher Schein von Aufschwung und Wohlstand, dahinter krasse soziale Gegensätze und Elend.
Im Osten: Überwachung, Unterdrückung, fanatische Kommunisten, Verfall, bescheidene Lebensverhältnisse, allgegenwärtige Angst und ein finsteres System, aus dem man flüchten möchte.
Haben Ost und West während der deutschen Teilung diejeweils andere Seite am liebsten so in Film und Fernsehen gezeigt?
Die Retrospektive »Überblendung – Vergessene Bilder von Ost und West« möchte zur Beantwortung dieser Frage beitragen, indem sie viele Raritäten präsentiert. Darunter schwer zu beschaffende Fernsehproduktionen, die wohl zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder zu sehen sind wie die Filme »Aus dem Alltag in der DDR« und vier Folgen der Serie »Familie Bergmann«: Anfang der 70er Jahre sollten sie den Westdeutschen das Leben im ihnen fremdgewordenen Osten des Landes nahebringen.
Weitere Ausgrabungen sind der ZDF-Film »Das Haus« über ein Gebäude an der Berliner Mauer, die NDR-Produktion »Gerhard Langhammer und die Freiheit« über die Probleme eines Flüchtlings im Westen oder der DEFA-Streifen »Was wäre, wenn …?«: 1960 spielte er durch, was geschehen könnte, sollte ein DDR-Dorf plötzlich die Seite wechseln – mit »Die Dubrow-Krise« entstand 1968 ein ähnlicher Film im Westen.
Zu den Raritäten zählen auch »Mord im Märkischen Viertel« über einen Kriminalfall in West-Berlin und »Brandstellen«,
die DEFA-Adaption eines Romans von Franz Josef Degenhardt. Schon 1966 war mit »Irrlicht und Feuer« ein gesellschaftskritisches Buch eines westdeutschen Autors, hier Max von der Grün, für das DDR-Fernsehen adaptiert worden. Und auch die ARD hatte diesen Zweiteiler 1968 gesendet.
Auf einen selbstkritischen Blick auf die eigene Seite verzichteten auch viele Westfilme über den Osten nicht. Ob in »Postlagernd Turteltaube«, »Flucht nach Berlin« oder »Gedenktag« (über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953): Immer wieder lautete der Hauptvorwurf, die satten Westler interessiere der Osten nicht mehr.
Die Kritik, welche selbst diese Westfilme am Westen übten, verstärkte das Dilemma der Ostfilme: Eine differenzierte Darstellung der Zustände im Westen wie in »Zwischenfall in Benderath« war ohnehin eher die Ausnahme, oft wurde übertrieben und die Kritik an den Problemen entsprechend unscharf.
So wollte »Aktion J« nachweisen, dass Adenauers Kanzleramtsminister Hans Globke beim Holocaust eine gleich große Rolle gespielt hatte wie Adolf Eichmann. »Freispruch mangels Beweises«, die Verfilmung einer Münchner Affäre, wurde wenig später von der realen Entwicklung widerlegt. Gleiches war schon »Das verurteilte Dorf« widerfahren.
Da es unglaubwürdig gewesen wäre, verelendete Proletariermassen zu zeigen, widmeten sich die Ostfilme über den Westen gern den »besseren« Kreisen – und damit der Präsentation eines besonders schicken Ambientes und Lebensstils. Eine Produktion wie »Spielbankaffäre« wurde deshalb im Osten nur verstümmelt, in Schwarzweiß und im Bildformat 4:3 gezeigt. Und selbst ein Film, der von der Bundesrepublik so angewidert war wie »Der Hauptmann von Köln«, oder die Agentenserie »Das unsichtbare Visier« tappten in diese Falle.
Zu jeder der vierzig Produktionen gibt es eine fachkundige Einführung.