

Brandstellen | Retro Überblendung
28.1.23 | 20:30 Uhr
DDR 1977 – 95 Min. – Farbe – R: Horst E. Brandt – B: Horst E. Brandt, Gerhard Bengsch – K: Rolf Sohre – M: Peter Gotthardt, Lokomotive Kreuzberg – D: Dieter Mann, Heidemarie Wenzel, Wolfgang Dehler, Ezard Haußmann, Petra Hinze, Dietmar Richter-Reinick, Karin Gregorek
Eine beliebte Anekdote über das Ansehen der DDR-Medien besagt, Ostdeutsche hätten negative Meldungen über den Westen erst geglaubt, wenn diese auch vom Westfernsehen gebracht worden wären.
Dazu passt, dass Kinospielfilme aus dem Westen, insbesondere der Bundesrepublik, besonders häufig und schnell von der DDR importiert wurden, wenn sie bevorzugte Themen der dortigen offiziellen Darstellung der Zustände in der „BRD“ behandelten – in den siebziger Jahren perspektivlose Jugendliche und neonazistische Umtriebe.
Auch weil die Bundesrepublik und West-Berlin seit den frühen siebziger Jahren als beliebiges westliches Ausland behandelt werden sollten, zu dem die DDR keine besonderen Beziehungen hatte, produzierte man dort nur noch vergleichsweise wenige Filme über das Leben im anderen Teil Deutschlands. Mit „Brandstellen“ adaptiertem Horst E. Brandt und Gerhard Bengsch 1977 (wie gut ein Jahrzehnt früher mit „Irrlicht und Feuer“, siehe 22. und 26.1.) ein Buch eines Westautors, dessen kritischer Blick auf die Bundesrepublik auf die Zuschauer in der DDR folglich besonders glaubwürdig wirken sollte. Freilich war der prominente Liedermacher, Schriftsteller und Rechtsanwalt Franz Josef Degenhardt (1931-2011) ein Sympathisant und ab 1978 Mitglied der (von der SED finanzierten und angeleiteten) Deutschen Kommunistischen Partei.
Im Mittelpunkt der Handlung steht ein Hamburger Anwalt, dessen Ex-Freundin und Mandantin nach einer Schießerei von der Polizei gesucht wird. Der ermittelnde Staatsanwalt fürchtet, dass seine linksradikale Vergangenheit ihn einholt. Der Anwalt lernt eine kommunistische Lehrerin kennen, der der Rauswurf aus dem Staatsdienst droht. Mit dem Kampf einer Bürgerinitiative gegen die Umwandlung eines Naherholungsgebietes in einen Truppenübungsplatz wurden weitere aktuelle Themen in das Geschehen integriert.
Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Retro Überblendung:
Im Westen: Arbeitslosigkeit, Drogensucht, alte und neue Nazis, Prostitution, perspektivlose Jugendliche, falscher Schein von Aufschwung und Wohlstand, dahinter krasse soziale Gegensätze und Elend.
Im Osten: Überwachung, Unterdrückung, fanatische Kommunisten, Verfall, bescheidene Lebensverhältnisse, allgegenwärtige Angst und ein finsteres System, aus dem man flüchten möchte.
Haben Ost und West während der deutschen Teilung diejeweils andere Seite am liebsten so in Film und Fernsehen gezeigt?
Die Retrospektive »Überblendung – Vergessene Bilder von Ost und West« möchte zur Beantwortung dieser Frage beitragen, indem sie viele Raritäten präsentiert. Darunter schwer zu beschaffende Fernsehproduktionen, die wohl zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder zu sehen sind wie die Filme »Aus dem Alltag in der DDR« und vier Folgen der Serie »Familie Bergmann«: Anfang der 70er Jahre sollten sie den Westdeutschen das Leben im ihnen fremdgewordenen Osten des Landes nahebringen.
Weitere Ausgrabungen sind der ZDF-Film »Das Haus« über ein Gebäude an der Berliner Mauer, die NDR-Produktion »Gerhard Langhammer und die Freiheit« über die Probleme eines Flüchtlings im Westen oder der DEFA-Streifen »Was wäre, wenn …?«: 1960 spielte er durch, was geschehen könnte, sollte ein DDR-Dorf plötzlich die Seite wechseln – mit »Die Dubrow-Krise« entstand 1968 ein ähnlicher Film im Westen.
Zu den Raritäten zählen auch »Mord im Märkischen Viertel« über einen Kriminalfall in West-Berlin und »Brandstellen«,
die DEFA-Adaption eines Romans von Franz Josef Degenhardt. Schon 1966 war mit »Irrlicht und Feuer« ein gesellschaftskritisches Buch eines westdeutschen Autors, hier Max von der Grün, für das DDR-Fernsehen adaptiert worden. Und auch die ARD hatte diesen Zweiteiler 1968 gesendet.
Auf einen selbstkritischen Blick auf die eigene Seite verzichteten auch viele Westfilme über den Osten nicht. Ob in »Postlagernd Turteltaube«, »Flucht nach Berlin« oder »Gedenktag« (über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953): Immer wieder lautete der Hauptvorwurf, die satten Westler interessiere der Osten nicht mehr.
Die Kritik, welche selbst diese Westfilme am Westen übten, verstärkte das Dilemma der Ostfilme: Eine differenzierte Darstellung der Zustände im Westen wie in »Zwischenfall in Benderath« war ohnehin eher die Ausnahme, oft wurde übertrieben und die Kritik an den Problemen entsprechend unscharf.
So wollte »Aktion J« nachweisen, dass Adenauers Kanzleramtsminister Hans Globke beim Holocaust eine gleich große Rolle gespielt hatte wie Adolf Eichmann. »Freispruch mangels Beweises«, die Verfilmung einer Münchner Affäre, wurde wenig später von der realen Entwicklung widerlegt. Gleiches war schon »Das verurteilte Dorf« widerfahren.
Da es unglaubwürdig gewesen wäre, verelendete Proletariermassen zu zeigen, widmeten sich die Ostfilme über den Westen gern den »besseren« Kreisen – und damit der Präsentation eines besonders schicken Ambientes und Lebensstils. Eine Produktion wie »Spielbankaffäre« wurde deshalb im Osten nur verstümmelt, in Schwarzweiß und im Bildformat 4:3 gezeigt. Und selbst ein Film, der von der Bundesrepublik so angewidert war wie »Der Hauptmann von Köln«, oder die Agentenserie »Das unsichtbare Visier« tappten in diese Falle.
Zu jeder der vierzig Produktionen gibt es eine fachkundige Einführung.