Aus dem All­tag in der DDR – … zum Ruh­me des Sports | Retro Über­blen­dung

22.1.23 | 20:30 Uhr

BRD 1972/73 – 89 Min. – Far­be – R: Wolf­gang Storch – B: Joa­chim Zwei­nert – K: Wal­ter Fehdmer – D: Roland Astor, Doro­thea Kai­ser, Die­ter Proch­now, Ant­je Rein­ke, Uwe Dall­mei­er, Hen­ry König, Rolf Schimpf

Der vier­te Film aus der klei­nen Rei­he „Aus dem All­tag in der DDR“ (sie­he auch 12., 14. und 15.1.) unter­schei­det sich von den ande­ren: Zuge­ge­be­ner­ma­ßen schil­dert

er nicht den All­tag von Durch­schnitts­bür­gern, son­dern von Pri­vi­le­gier­ten, in die­sem Fal­le Spit­zen­sport­lern. Ihre geho­be­ne Stel­lung schlägt sich auch nie­der in einem Ambi­en­te, das sei­ner­zeit als modisch und schick galt. Dabei sie­delt der Film sein Gesche­hen von der Aus­stat­tung her eher in der dama­li­gen Gegen­wart an, nicht in jenem Zeit­raum, in dem es sich wirk­lich zutrug: „… zum Ruh­me des Sports“ zeich­net den viel­be­ach­te­ten „Fall“ des 1942 gebo­re­nen Leicht­ath­le­ten Jür­gen May nach, eines Welt­klas­se­läu­fers, der in der DDR gefei­ert wur­de, aber in Ungna­de fiel, als

er sich 1966 im west­deut­schen „Schuh­krieg“ zwi­schen Adi­das und Puma bestechen ließ. Schließ­lich ging May, zusam­men mit sei­ner Frau, mit­hil­fe von Flucht­hel­fern in den Wes­ten, wo er an sei­ne frü­he­ren sport­li­chen Erfol­ge aber kaum mehr anknüp­fen konn­te. Hat­te doch die DDR, nach­dem es ihr nicht gelun­gen war, auf dem Gebiet der Wirt­schaft und des Wohl­stands die Bun­des­re­pu­blik zu über­flü­geln, den Sport als ein Feld ent­deckt, auf wel­chem sich die angeb­li­che Über­le­gen­heit des Sozia­lis­mus vor­füh­ren ließ. Und tat­säch­lich, so wird auch in die­sem NDR-Film gesagt, könn­ten sich ver­gleich­ba­re Erfol­ge im Wes­ten nur erzie­len las­sen, wenn man das Herrschafts- und Gesell­schafts­sys­tem des Ostens über­näh­me.

Im Gegen­satz zu den drei ers­ten Fil­men „Aus dem All­tag in der DDR“ ist „… zum Ruh­me des Sports“ eher ein kon­ven­tio­nel­ler Spiel­film. Gewis­se Brü­che in der fil­mi­schen Illu­si­on – der Prot­ago­nist betrach­tet Film­auf­nah­men von sich und kom­men­tiert die­se – darf man als modi­sche Spie­le­rei­en betrach­ten, die damals gera­de im Fern­se­hen gern benutzt wur­den, um eine gewis­se Distanz zum Gesche­hen zu schaf­fen und die Zuschau­er (so die Hoff­nung) vom rein pas­si­ven Kon­sum abzu­brin­gen und zur Refle­xi­on anzu­re­gen. Als Dreh­buch­au­tor fun­gier­te wie­der Joa­chim Zwei­nert, wobei es sich erklär­ter­ma­ßen um ein Pseud­onym han­del­te, zu dem man dies­mal aber im „Ham­bur­ger Abend­blatt“ vom 6. Febru­ar 1973 lesen konn­te: „Hin­ter dem fik­ti­ven Autor Joa­chim Zwei­nert ver­birgt sich ein Autoren­team, dem neben dem Regis­seur (Wolf­gang Storch) und dem Redak­teur (Rüdi­ger Hum­pert) noch wei­te­re DDR-Experten ange­hö­ren.“

Geför­dert mit Mit­teln der Bun­des­stif­tung zur Auf­ar­bei­tung der SED-Diktatur.

Retro Über­blen­dung:
Im Wes­ten: Arbeits­lo­sig­keit, Dro­gen­sucht, alte und neue ­Nazis, Pro­sti­tu­ti­on, per­spek­tiv­lo­se Jugend­li­che, fal­scher Schein von Auf­schwung und Wohl­stand, dahin­ter kras­se ­sozia­le Gegen­sätze und Elend.
Im Osten: Über­wa­chung, Unter­drü­ckung, fana­ti­sche ­Kom­mu­nis­ten, Ver­fall, beschei­de­ne Lebens­verhältnisse, all­gegenwärtige Angst und ein fin­ste­­res Sys­tem, aus dem man flüch­ten möch­te.
Haben Ost und West wäh­rend der deut­schen Tei­lung die­je­weils ande­re Sei­te am liebs­ten so in Film und Fern­se­hen ­gezeigt?
Die Retro­spek­ti­ve »Über­blen­dung – Ver­ges­se­ne Bil­der von Ost und West« möch­te zur Beant­wor­tung die­ser Fra­ge bei­tragen, indem sie vie­le Rari­tä­ten prä­sen­tiert. Dar­un­ter schwer zu ­beschaf­fen­de Fern­seh­pro­duk­tio­nen, die wohl zum ers­ten Mal seit Jahr­zehn­ten wie­der zu sehen sind wie die ­Fil­me »Aus dem All­tag in der DDR« und vier Fol­gen der Serie »Fami­lie Berg­mann«: Anfang der 70er Jah­re soll­ten sie den West­deut­schen das ­Leben im ihnen fremd­ge­wor­de­nen Osten des Lan­des nahe­bringen.
Wei­te­re Aus­gra­bun­gen sind der ZDF-Film »Das Haus« über ein Gebäu­de an der Ber­li­ner Mau­er, die NDR-Produktion »Ger­hard Lang­ham­mer und die Frei­heit« über die Pro­ble­me eines Flücht­lings im Wes­ten oder der DEFA-Streifen »Was wäre, wenn …?«: 1960 spiel­te er durch, was gesche­hen könn­te, soll­te ein ­DDR-Dorf plötz­lich die Sei­te wech­seln – mit »Die Dubrow-­Krise« ent­stand 1968 ein ähn­li­cher Film im Wes­ten.
Zu den Rari­tä­ten zäh­len auch »Mord im Mär­ki­schen Vier­tel« über einen Kri­mi­nal­fall in West-Berlin und »Brand­stel­len«,
die DEFA-Adaption eines Romans von Franz Josef Degen­hardt. Schon 1966 war mit »Irr­licht und Feu­er« ein gesellschafts­kritisches Buch eines west­deut­schen Autors, hier Max von der Grün, für das DDR-Fernsehen adap­tiert wor­den. Und auch die ARD hat­te die­sen Zwei­tei­ler 1968 gesen­det.
Auf einen selbst­kri­ti­schen Blick auf die eige­ne Sei­te ver­zich­te­ten auch vie­le West­fil­me über den Osten nicht. Ob in ­»Post­la­gernd Tur­tel­tau­be«, »Flucht nach Ber­lin« oder »Gedenk­tag« (über den Volks­auf­stand vom 17. Juni 1953): Immer wie­der lau­te­te der Haupt­vor­wurf, die sat­ten West­ler inter­es­sie­re der Osten nicht mehr.
Die Kri­tik, wel­che selbst die­se West­fil­me am Wes­ten übten, ver­stärk­te das Dilem­ma der Ost­fil­me: Eine dif­fe­ren­zier­te Dar­stel­lung der Zustän­de im Wes­ten wie in »Zwi­schen­fall in Ben­de­rath« war ohne­hin eher die Aus­nah­me, oft wur­de über­trie­ben und die Kri­tik an den Pro­ble­men ent­spre­chend unscharf.
So woll­te »Akti­on J« nach­wei­sen, dass Ade­nau­ers Kanz­ler­amts­mi­nis­ter Hans Glob­ke beim Holo­caust eine gleich gro­ße Rol­le gespielt hat­te wie Adolf Eich­mann. »Frei­spruch man­gels ­Bewei­ses«, die Ver­fil­mung einer Münch­ner Affä­re, wur­de ­wenig spä­ter von der rea­len Ent­wick­lung wider­legt. Glei­ches war schon »Das ver­ur­teil­te Dorf« wider­fah­ren.
Da es unglaub­wür­dig gewe­sen wäre, ver­elen­de­te Pro­le­ta­rier­mas­sen zu zei­gen, wid­me­ten sich die Ost­fil­me über den Wes­ten gern den »bes­se­ren« Krei­sen – und damit der Prä­sen­ta­ti­on ­eines beson­ders schi­cken Ambi­en­tes und Lebens­stils. Eine ­Pro­duk­ti­on wie »Spiel­bank­af­fä­re« wur­de des­halb im Osten nur ver­stüm­melt, in Schwarz­weiß und im Bild­for­mat 4:3 ­gezeigt. Und selbst ein Film, der von der Bun­des­re­pu­blik so ange­wi­dert war wie »Der Haupt­mann von Köln«, oder die Agen­ten­se­rie »Das unsicht­ba­re Visier« tapp­ten in die­se Fal­le.
Zu jeder der vier­zig Pro­duk­tio­nen gibt es eine fach­kun­di­ge Ein­füh­rung.

Datum

So 22. Januar 2023
vorbei!

Uhrzeit

20:30

Preis

8 € / erm. 6 € | zzgl. VVK-Geb.

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Ort

KINO Brotfabrik
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Veranstalter

Brotfabrik Berlin
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