Aus dem All­tag in der DDR – Ers­ter Ver­such einer Rekon­struk­ti­on | Retro Über­blen­dung

12.1.23 | 20 Uhr + 15.1.23 | 16 Uhr

BRD 1969 – 89 Min. – Schwarz­weiß – R: Carl­heinz Cas­pa­ri – B: Joa­chim Zwei­nert – K: Wolf­gang Zeh – D: Hans-Günter Mar­tens, Rolf Schimpf, Eva Brum­by, Heinz Fabi­an, Gün­ther Jersch­ke, Eli­sa­beth Acker­mann, Joa­chim Ten­n­stedt, Chris­ti­an Bött­cher

Nach gut zwan­zig Jah­ren Tei­lung mach­te sich in der Bun­des­re­pu­blik die Befürch­tung breit, die Deut­schen in Ost und West hät­ten sich aus­ein­an­der­ge­lebt, gar ein­an­der ent­frem­det, und dem­entspre­chend könn­te auch das Inter­es­se an einer Wie­der­ver­ei­ni­gung schwin­den.

Am 17. Juni 1969, als in Bonn noch die Gro­ße Koali­ti­on regier­te und die Bundes­republik die DDR noch nicht staats­recht­lich aner­kannt hat­te, prä­sen­tier­te der NDR im ARD-Gemeinschaftsprogramm die­sen „Ers­ten Ver­such einer Rekon­struk­ti­on nach Berich­ten und Dia­lo­gen“.

Über den Ver­fas­ser des Dreh­buchs schrieb der Sen­der: „Der Autor, der sich des Pseud­onyms Joa­chim Zwei­nert bedient, wur­de Ende der zwan­zi­ger Jah­re im öst­li­chen Teil Deutsch­lands gebo­ren. Nach einem Ende der fünf­zi­ger Jah­re an einer west­deut­schen Uni­ver­si­tät abge­schlos­se­nen Stu­di­um ist er seit Jah­ren als Ange­stell­ter eines Wirt­schafts­un­ter­neh­mens auch publi­zis­tisch tätig. Bei lang­jäh­ri­gem Auf­ent­halt in Ber­lin und vie­len beruf­li­chen Rei­sen in die DDR lern­te er Aspek­te des All­tags­le­bens von DDR-Bürgern in ver­schie­de­nen gesell­schaft­li­chen Berei­chen näher und genau­er ken­nen. Auf Anre­gung der Fern­seh­spiel­ab­tei­lung des Nord­deutschen Rund­funks ver­faß­te er auf Grund sei­ner Kennt­nis­se und Ein­drü­cke die Sze­nen des Stü­ckes.“

Gezeigt wur­de: Ein Köchin erregt sich über eine ihr unan­ge­mes­sen erschei­nen­de Wür­di­gung des Frau­en­ta­ges. Eine Biblio­the­ka­rin wird straf­ver­setzt, weil ihr eine west­deut­sche Ver­wand­te ver­bo­te­ne Bücher an ihre Arbeits­stät­te geschickt hat. Zwei jun­ge Män­ner wol­len erst eine schi­ka­nö­se Poli­zei­kon­trol­le nicht über sich erge­hen las­sen und müs­sen es dann doch. Ein evan­ge­li­scher Pfar­rer will den Beginn des Kon­fir­ma­ti­ons­un­ter­richts nicht so ver­schie­ben, dass er nicht mehr mit dem Ende der staat­li­chen Kin­der­be­treu­ung kol­li­diert. Auf einer Bau­stel­le äußern sich Arbei­ter zu der Fra­ge, was eine Per­sön­lich­keit ist. Ein Leh­rer wird dazu gedrängt, sei­ne klei­ne Pro­test­ges­te gegen die Nie­der­schla­gung des „Pra­ger Früh­lings“ auf­zu­ge­ben.

Mit der Dra­ma­ti­sie­rung wur­de natür­lich ver­sucht, die Nach­hil­fe dar­über, wie „die da drü­ben“ leben und viel­leicht auch den­ken, unter­halt­sa­mer zu gestal­ten. Die etwas sprö­de Form, wel­che in der Tra­di­ti­on der renom­mier­ten NDR-Fernsehspielabteilung stand, behin­der­te dies aber eben­so wie die Tech­nik, den Mode­ra­tor lan­ge mono­lo­gi­sie­ren zu las­sen. Die wei­te­ren Fil­me der Rei­he „Aus dem All­tag in der DDR“ wur­den daher etwas anders gestal­tet.

(Sie­he auch 14.1. und 22.1.)

Geför­dert mit Mit­teln der Bun­des­stif­tung zur Auf­ar­bei­tung der SED-Diktatur.

 

Retro Über­blen­dung:

Im Wes­ten: Arbeits­lo­sig­keit, Dro­gen­sucht, alte und neue ­Nazis, Pro­sti­tu­ti­on, per­spek­tiv­lo­se Jugend­li­che, fal­scher Schein von Auf­schwung und Wohl­stand, dahin­ter kras­se ­sozia­le Gegen­sätze und Elend.

Im Osten: Über­wa­chung, Unter­drü­ckung, fana­ti­sche ­Kom­mu­nis­ten, Ver­fall, beschei­de­ne Lebens­verhältnisse, all­gegenwärtige Angst und ein fin­ste­­res Sys­tem, aus dem man flüch­ten möch­te.

Haben Ost und West wäh­rend der deut­schen Tei­lung die­je­weils ande­re Sei­te am liebs­ten so in Film und Fern­se­hen ­gezeigt?

Die Retro­spek­ti­ve »Über­blen­dung – Ver­ges­se­ne Bil­der von Ost und West« möch­te zur Beant­wor­tung die­ser Fra­ge bei­tragen, indem sie vie­le Rari­tä­ten prä­sen­tiert. Dar­un­ter schwer zu ­beschaf­fen­de Fern­seh­pro­duk­tio­nen, die wohl zum ers­ten Mal seit Jahr­zehn­ten wie­der zu sehen sind wie die ­Fil­me »Aus dem All­tag in der DDR« und vier Fol­gen der Serie »Fami­lie Berg­mann«: Anfang der 70er Jah­re soll­ten sie den West­deut­schen das ­Leben im ihnen fremd­ge­wor­de­nen Osten des Lan­des nahe­bringen.

Wei­te­re Aus­gra­bun­gen sind der ZDF-Film »Das Haus« über ein Gebäu­de an der Ber­li­ner Mau­er, die NDR-Produktion »Ger­hard Lang­ham­mer und die Frei­heit« über die Pro­ble­me eines Flücht­lings im Wes­ten oder der DEFA-Streifen »Was wäre, wenn …?«: 1960 spiel­te er durch, was gesche­hen könn­te, soll­te ein ­DDR-Dorf plötz­lich die Sei­te wech­seln – mit »Die Dubrow-­Krise« ent­stand 1968 ein ähn­li­cher Film im Wes­ten.

Zu den Rari­tä­ten zäh­len auch »Mord im Mär­ki­schen Vier­tel« über einen Kri­mi­nal­fall in West-Berlin und »Brand­stel­len«,
die DEFA-Adaption eines Romans von Franz Josef Degen­hardt. Schon 1966 war mit »Irr­licht und Feu­er« ein gesellschafts­kritisches Buch eines west­deut­schen Autors, hier Max von der Grün, für das DDR-Fernsehen adap­tiert wor­den. Und auch die ARD hat­te die­sen Zwei­tei­ler 1968 gesen­det.

Auf einen selbst­kri­ti­schen Blick auf die eige­ne Sei­te ver­zich­te­ten auch vie­le West­fil­me über den Osten nicht. Ob in ­»Post­la­gernd Tur­tel­tau­be«, »Flucht nach Ber­lin« oder »Gedenk­tag« (über den Volks­auf­stand vom 17. Juni 1953): Immer wie­der lau­te­te der Haupt­vor­wurf, die sat­ten West­ler inter­es­sie­re der Osten nicht mehr.

Die Kri­tik, wel­che selbst die­se West­fil­me am Wes­ten übten, ver­stärk­te das Dilem­ma der Ost­fil­me: Eine dif­fe­ren­zier­te Dar­stel­lung der Zustän­de im Wes­ten wie in »Zwi­schen­fall in Ben­de­rath« war ohne­hin eher die Aus­nah­me, oft wur­de über­trie­ben und die Kri­tik an den Pro­ble­men ent­spre­chend unscharf.

So woll­te »Akti­on J« nach­wei­sen, dass Ade­nau­ers Kanz­ler­amts­mi­nis­ter Hans Glob­ke beim Holo­caust eine gleich gro­ße Rol­le gespielt hat­te wie Adolf Eich­mann. »Frei­spruch man­gels ­Bewei­ses«, die Ver­fil­mung einer Münch­ner Affä­re, wur­de ­wenig spä­ter von der rea­len Ent­wick­lung wider­legt. Glei­ches war schon »Das ver­ur­teil­te Dorf« wider­fah­ren.

Da es unglaub­wür­dig gewe­sen wäre, ver­elen­de­te Pro­le­ta­rier­mas­sen zu zei­gen, wid­me­ten sich die Ost­fil­me über den Wes­ten gern den »bes­se­ren« Krei­sen – und damit der Prä­sen­ta­ti­on ­eines beson­ders schi­cken Ambi­en­tes und Lebens­stils. Eine ­Pro­duk­ti­on wie »Spiel­bank­af­fä­re« wur­de des­halb im Osten nur ver­stüm­melt, in Schwarz­weiß und im Bild­for­mat 4:3 ­gezeigt. Und selbst ein Film, der von der Bun­des­re­pu­blik so ange­wi­dert war wie »Der Haupt­mann von Köln«, oder die Agen­ten­se­rie »Das unsicht­ba­re Visier« tapp­ten in die­se Fal­le.

Zu jeder der vier­zig Pro­duk­tio­nen gibt es eine fach­kun­di­ge Ein­füh­rung.

Datum

Do 12. Januar 2023
vorbei!

Uhrzeit

20:00

Preis

8 € / erm. 6 € | zzgl. VVK-Geb.

TICKETS ONLINE KAUFEN

TICKETS ONLINE KAUFEN

Ort

KINO Brotfabrik
Kategorie
Brotfabrik Berlin

Veranstalter

Brotfabrik Berlin
Phone
+49 30 471 40 01
Scroll to Top

Liebe Besucherinnen und Besucher,

Die aktuellen Informationen, was wie wann in der Brotfabrik derzeit nicht geht oder geht, finden Sie

Bleiben Sie gesund!
Ihr BrotfabrikTeam