

Alarm im Zirkus | Retro Überblendung
15.1.23 | 18 Uhr
DDR 1954 – 83 Min. – Schwarzweiß – R: Gerhard Klein – B: Wolfgang Kohlhaase, Hans Kubisch – K: Werner Bergmann – M: Günter Klück – D: Ernst-Georg Schwill, Hans Winter, Gertrud Keller, Erwin Geschonneck, Uwe-Jens Pape, Karl Kendzia, Ulrich Thein
Klaus und Max leben in ärmlichen Verhältnissen im amerikanischen Sektor von Berlin. Die arbeitslosen Halbwüchsigen träumen davon, sich ein paar Boxhandschuhe zu kaufen und so eine große Karriere zu starten. Eine entsprechende Chance bietet sich, als sie dabei mitmachen können, bei Nacht und Nebel Pferde aus dem Ost-Berliner Zirkus Barlay nach West-Berlin zu bringen. Doch zufällig waren die Jungs kurz zuvor in dem Zirkus gewesen, und Klaus hatte dort später die Geburt eines Fohlens miterlebt, das von den Pferdedieben nun als Ballast getötet werden soll.
„Alarm im Zirkus“ war der erste der wirklichkeitsnahen, da vom italienischen Neorealismus inspirierten Berlin-Filme Gerhard Kleins und Wolfgang Kohlhaases. Ihm folgten „Eine Berliner Romanze“, „Berlin – Ecke Schönhauser …“ und „Berlin um die Ecke“, der 1965/66 dem Kahlschlag durch das 11. Plenum des ZK der SED zum Opfer fiel und erst 1989/90 uraufgeführt werden konnte.
Dass „Alarm im Zirkus“ heute weniger bekannt ist als die nachfolgenden Filme, dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass der geschickt konstruierte und entsprechend spannende Krimi sich mit seinen jugendlichen Hauptfiguren auch an ein jugendliches Publikum richtete. Dementsprechend wurde (und wird) er gern als besserer Kinderfilm missverstanden – ein Genre, das die Filmgeschichtsschreibung bis heute geringschätzt oder gleich ganz ignoriert.
Derweil sich Stadtbild und Alltagsästhetik in Ost- und West-Berlin 1954 noch kaum voneinander unterschieden, wurden westliche Schauplätze bereits – wie auch später in Film und Fernsehen der DDR üblich – durch Reklame gekennzeichnet. Bei allem Bemühen um Realitätsnahe folgte auch die Darstellung der Verhältnisse in den beiden Stadthälften den gängigen Klischees der DDR-Propaganda: Im Westen Elend und Not, Arbeits- und Perspektivlosigkeit sowie Verbrechen, im Osten Optimismus und freudiger Aufbau, und jeder kann dort studieren, wenn er nur fleißig genug ist. Auch wimmelt es im Osten nur so vor freundlichen, gütigen Menschen, derweil im Westen Egoismus, Gier und Engherzigkeit regieren. Natürlich darf bei der Zeichnung der dortigen Zustände auch nicht das Nachtlokal mit Jazzklängen und amerikanischen Soldaten fehlen.
Die dem Film auch vorangestellte Behauptung, dieser schildere authentisches Geschehen, wird bis heute oft übernommen. Für den aus Ost-Berlin geflüchteten und enteigneten Besitzer des Zirkus Barlay stellte sich die Sache freilich etwas anders dar: Bei dem vorgeblichen Diebstahl handelte es sich um den Versuch, seine Pferde in den Westen nachzuholen. Aus dieser Perspektive war der Film selbst jene Funktionalisierung des Vorgangs für die Propaganda, deren Scheitern für die westliche Seite er genüsslich schildert.
Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Retro Überblendung:
Im Westen: Arbeitslosigkeit, Drogensucht, alte und neue Nazis, Prostitution, perspektivlose Jugendliche, falscher Schein von Aufschwung und Wohlstand, dahinter krasse soziale Gegensätze und Elend.
Im Osten: Überwachung, Unterdrückung, fanatische Kommunisten, Verfall, bescheidene Lebensverhältnisse, allgegenwärtige Angst und ein finsteres System, aus dem man flüchten möchte.
Haben Ost und West während der deutschen Teilung diejeweils andere Seite am liebsten so in Film und Fernsehen gezeigt?
Die Retrospektive »Überblendung – Vergessene Bilder von Ost und West« möchte zur Beantwortung dieser Frage beitragen, indem sie viele Raritäten präsentiert. Darunter schwer zu beschaffende Fernsehproduktionen, die wohl zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder zu sehen sind wie die Filme »Aus dem Alltag in der DDR« und vier Folgen der Serie »Familie Bergmann«: Anfang der 70er Jahre sollten sie den Westdeutschen das Leben im ihnen fremdgewordenen Osten des Landes nahebringen.
Weitere Ausgrabungen sind der ZDF-Film »Das Haus« über ein Gebäude an der Berliner Mauer, die NDR-Produktion »Gerhard Langhammer und die Freiheit« über die Probleme eines Flüchtlings im Westen oder der DEFA-Streifen »Was wäre, wenn …?«: 1960 spielte er durch, was geschehen könnte, sollte ein DDR-Dorf plötzlich die Seite wechseln – mit »Die Dubrow-Krise« entstand 1968 ein ähnlicher Film im Westen.
Zu den Raritäten zählen auch »Mord im Märkischen Viertel« über einen Kriminalfall in West-Berlin und »Brandstellen«,
die DEFA-Adaption eines Romans von Franz Josef Degenhardt. Schon 1966 war mit »Irrlicht und Feuer« ein gesellschaftskritisches Buch eines westdeutschen Autors, hier Max von der Grün, für das DDR-Fernsehen adaptiert worden. Und auch die ARD hatte diesen Zweiteiler 1968 gesendet.
Auf einen selbstkritischen Blick auf die eigene Seite verzichteten auch viele Westfilme über den Osten nicht. Ob in »Postlagernd Turteltaube«, »Flucht nach Berlin« oder »Gedenktag« (über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953): Immer wieder lautete der Hauptvorwurf, die satten Westler interessiere der Osten nicht mehr.
Die Kritik, welche selbst diese Westfilme am Westen übten, verstärkte das Dilemma der Ostfilme: Eine differenzierte Darstellung der Zustände im Westen wie in »Zwischenfall in Benderath« war ohnehin eher die Ausnahme, oft wurde übertrieben und die Kritik an den Problemen entsprechend unscharf.
So wollte »Aktion J« nachweisen, dass Adenauers Kanzleramtsminister Hans Globke beim Holocaust eine gleich große Rolle gespielt hatte wie Adolf Eichmann. »Freispruch mangels Beweises«, die Verfilmung einer Münchner Affäre, wurde wenig später von der realen Entwicklung widerlegt. Gleiches war schon »Das verurteilte Dorf« widerfahren.
Da es unglaubwürdig gewesen wäre, verelendete Proletariermassen zu zeigen, widmeten sich die Ostfilme über den Westen gern den »besseren« Kreisen – und damit der Präsentation eines besonders schicken Ambientes und Lebensstils. Eine Produktion wie »Spielbankaffäre« wurde deshalb im Osten nur verstümmelt, in Schwarzweiß und im Bildformat 4:3 gezeigt. Und selbst ein Film, der von der Bundesrepublik so angewidert war wie »Der Hauptmann von Köln«, oder die Agentenserie »Das unsichtbare Visier« tappten in diese Falle.
Zu jeder der vierzig Produktionen gibt es eine fachkundige Einführung.