

Aktion J | Retro Überblendung
19.1.23 | 18 Uhr
DDR 1961 – 110 Min. – Schwarzweiß – R+B: Walter Heynowski – M: Hanns Eisler
Der nachlässige, auch nachsichtige Umgang mit NS-Verbrechern war wohl der größte Makel der jungen Bundesrepublik. Dass darüber in den fünfziger und sechziger Jahren der Mantel des Schweigens gebreitet worden wäre, ist allerdings eine Legende, die von späteren Generationen gestrickt wurde, um ihr eigenes Licht in Sachen „Vergangenheitsbewältigung“ stärker leuchten zu lassen. In der Bundesrepublik jener Jahrzehnte sorgte schon die DDR dafür, dass über die Taten und die Täter, die im Westen oft unbehelligt lebten oder deren Strafverfolgung verschleppt wurde, immer wieder geredet wurde, und sei es auch nur, indem man die Vorwürfe als kommunistische Propaganda abzutun versuchte.
Letzterem leistete der Osten allerdings auch Vorschub, indem berechtigte Anklagen immer wieder vermischt wurden mit Verzerrungen, Übertreibungen und sogar Fälschungen: Im Kalten Krieg war jedes Mittel recht, um die Bundesrepublik als Staat darzustellen, in dem die alten Nazis nicht nur frei herumliefen, sondern sogar das Sagen hatten.
Als ein Paradebeispiel dafür diente Hans Globke, Karrierejurist im „Dritten Reich“ und Kommentator der „Nürnberger Gesetze“, die dem Rassismus der Nazis 1935 einen pseudo-legalen Anstrich gaben, nun Kanzleramtsminister und enger Vertrauter Konrad Adenauers, nach Ansicht mancher auch graue Eminenz der Bonner Republik. Globkes Rolle in der damaligen Gegenwart und vor allem in der braunen Vergangenheit hatten auch im Westen bereits für Kritik gesorgt. Nachdem Adolf Eichmann, der Organisator des nationalsozialistischen Massenmords an den Juden, gefasst und in Jerusalem vor Gericht gestellt worden war, startete die DDR eine Kampagne, zu welcher dieser Fernsehfilm gehörte, der im April 1961 erstmals gesendet wurde: Als ein „Film der Beweise“ deklariert, zeichnete das Frühwerk Walter Heynowskis nicht nur Globkes fragwürdige Karriere nach, sondern wollte belegen, dass er beim Holocaust eine ebenso große Rolle gespielt hatte wie Eichmann: „Wäre Globke nicht gewesen, wäre Eichmann nicht gewesen“, heißt es. Mit Aussagen wie, Globke habe erst Göring, dann Frick, Himmler und nun Adenauer gedient, sollte eine direkte Linie vom Terrorstaat der Nazis zur Bundesrepublik gezogen und so getan werden, als wäre diese nicht nur die Fortsetzung des NS-Reiches, sondern eigentlich identisch mit diesem: „Seine (Globkes, Anm.) Stellung in Bonn beweist: In Westdeutschland ist alles beim Alten geblieben. So auch der nazistische Ungeist.“
Ein Film aus dem Deutschen Rundfunkarchiv.
Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Retro Überblendung:
Im Westen: Arbeitslosigkeit, Drogensucht, alte und neue Nazis, Prostitution, perspektivlose Jugendliche, falscher Schein von Aufschwung und Wohlstand, dahinter krasse soziale Gegensätze und Elend.
Im Osten: Überwachung, Unterdrückung, fanatische Kommunisten, Verfall, bescheidene Lebensverhältnisse, allgegenwärtige Angst und ein finsteres System, aus dem man flüchten möchte.
Haben Ost und West während der deutschen Teilung diejeweils andere Seite am liebsten so in Film und Fernsehen gezeigt?
Die Retrospektive »Überblendung – Vergessene Bilder von Ost und West« möchte zur Beantwortung dieser Frage beitragen, indem sie viele Raritäten präsentiert. Darunter schwer zu beschaffende Fernsehproduktionen, die wohl zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder zu sehen sind wie die Filme »Aus dem Alltag in der DDR« und vier Folgen der Serie »Familie Bergmann«: Anfang der 70er Jahre sollten sie den Westdeutschen das Leben im ihnen fremdgewordenen Osten des Landes nahebringen.
Weitere Ausgrabungen sind der ZDF-Film »Das Haus« über ein Gebäude an der Berliner Mauer, die NDR-Produktion »Gerhard Langhammer und die Freiheit« über die Probleme eines Flüchtlings im Westen oder der DEFA-Streifen »Was wäre, wenn …?«: 1960 spielte er durch, was geschehen könnte, sollte ein DDR-Dorf plötzlich die Seite wechseln – mit »Die Dubrow-Krise« entstand 1968 ein ähnlicher Film im Westen.
Zu den Raritäten zählen auch »Mord im Märkischen Viertel« über einen Kriminalfall in West-Berlin und »Brandstellen«,
die DEFA-Adaption eines Romans von Franz Josef Degenhardt. Schon 1966 war mit »Irrlicht und Feuer« ein gesellschaftskritisches Buch eines westdeutschen Autors, hier Max von der Grün, für das DDR-Fernsehen adaptiert worden. Und auch die ARD hatte diesen Zweiteiler 1968 gesendet.
Auf einen selbstkritischen Blick auf die eigene Seite verzichteten auch viele Westfilme über den Osten nicht. Ob in »Postlagernd Turteltaube«, »Flucht nach Berlin« oder »Gedenktag« (über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953): Immer wieder lautete der Hauptvorwurf, die satten Westler interessiere der Osten nicht mehr.
Die Kritik, welche selbst diese Westfilme am Westen übten, verstärkte das Dilemma der Ostfilme: Eine differenzierte Darstellung der Zustände im Westen wie in »Zwischenfall in Benderath« war ohnehin eher die Ausnahme, oft wurde übertrieben und die Kritik an den Problemen entsprechend unscharf.
So wollte »Aktion J« nachweisen, dass Adenauers Kanzleramtsminister Hans Globke beim Holocaust eine gleich große Rolle gespielt hatte wie Adolf Eichmann. »Freispruch mangels Beweises«, die Verfilmung einer Münchner Affäre, wurde wenig später von der realen Entwicklung widerlegt. Gleiches war schon »Das verurteilte Dorf« widerfahren.
Da es unglaubwürdig gewesen wäre, verelendete Proletariermassen zu zeigen, widmeten sich die Ostfilme über den Westen gern den »besseren« Kreisen – und damit der Präsentation eines besonders schicken Ambientes und Lebensstils. Eine Produktion wie »Spielbankaffäre« wurde deshalb im Osten nur verstümmelt, in Schwarzweiß und im Bildformat 4:3 gezeigt. Und selbst ein Film, der von der Bundesrepublik so angewidert war wie »Der Hauptmann von Köln«, oder die Agentenserie »Das unsichtbare Visier« tappten in diese Falle.
Zu jeder der vierzig Produktionen gibt es eine fachkundige Einführung.